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Feuerregen (Billy Bob Holland) (German Edition)

Feuerregen (Billy Bob Holland) (German Edition)

Titel: Feuerregen (Billy Bob Holland) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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Frühlingsflut unterspült worden, und das Wurzelgeflecht der überhängenden Bäume wogte in der Strömung. Die Stämme wirkten prall und hart, die Borke schimmerte scharf und ehern, als ob die Kälte, die sie mit dem Wasser aus den Wurzeln aufsogen, ihnen eine Härte verlieh, gegen die kein Nagel ankam.
    Der Prediger stand bis zum Bauch in der Strömung und tauchte eine fette Frau rücklings ein, bis das Wasser über ihre geschlossenen Augen schwappte, ihr weißes Kleid aufbauschte, das an den Knien mit einem blauen Tuch zusammengebunden war, damit die Schenkel nicht entblößt wurden.
    »Hast du Lust dazu?«, fragte mein Vater,
    »Ich hab keinen Schiss«, sagte ich.
    »Lass bloß deine Mutter nicht hören, dass du ›Schiss‹ sagst. Das Wasser ist eiskalt, mein Guter.«
    Ich spürte, wie er mir mit seiner großen Hand oben um den Kopf fasste.
    Ein paar Minuten später stand ich barfuß auf den Kieselsteinen, während mir das Wasser um Schenkel und Unterleib leckte, und umklammerte die Hand des Predigers. Er drückte mich rücklings ins Wasser, und es kam mir so vor, als ob sich ein unermessliches grünes Licht über mein Gesicht legte, durch meine Kleidung drang und auf meiner Haut brannte.
    Dann, sobald der Priester mein Gesicht wieder aus dem Wasser hob, schlug ich die Augen auf und sah die Bäume, die sich über mir spannten, sah das grüngelbe Muster der Blätter vor dem blauen Himmel, und ich wusste, ohne dass ich meinen Eindruck mit Worten hätte beschreiben können, dass ich an einer besonderen, einer geweihten Stätte gewesen war, einer ureigenen, von buntem Licht durchfluteten Kathedrale, zu der ich in Gedanken stets zurückkehren konnte, wenn ich den Eindruck hatte, der Welt nicht würdig zu sein.
    Als mein Vater mich am Lagerfeuer abtrocknete und mir sein altes Militärhemd mit dem Abzeichen der Indianhead-Division und den Sergeant-Winkeln am Ärmel umhängte, blickte ich zurück auf den Fluss, und er kam mir jetzt ganz gewöhnlich vor, weit weg, mit halb untergetauchten Menschen übersät, die ich nicht kannte.
    »Was sind das für Bäume?«, fragte ich.
    »Kernholz«, sagte mein Vater. »Die wachsen Schicht um Schicht, genau wie der Geist. Jedenfalls hat das Großpapa Sam immer gesagt. Man muss bloß dafür sorgen, dass die Wurzeln ständig frischen Zufluss haben, und darf nicht zulassen, dass jemand das Wasser verschmutzt.«
    Er hatte ein Schinkenbrot im Mund und grinste mich mit vollen Backen an.

20
    Einmal im Jahr veranstaltete die Stadt an einem Sommerabend in unserem kleinen, am Fluss gelegenen Vergnügungspark mit Biergarten ein Volksfest. Bei Sonnenuntergang stimmte eine mit steifen, kreisrunden Strohhüten und bonbonrot gestreiften Jacken ausstaffierte Blaskapelle »San Antonio Rose« an, und jemand schaltete die Lampions in den Bäumen ein, worauf die Hecken und kiesbestreuten Wege, die Imbissbuden und Jahrmarktstände im weichen, leicht unscharfen Licht geradezu idyllisch wirkten, wie eine Szene auf einem Gemälde aus dem späten neunzehnten Jahrhundert. Die gesellschaftlichen Unterschiede waren aufgehoben, und alle mischten sich untereinander, Arbeiter, Studenten, Farmer, die Geschäftswelt, der Bürgermeister und seine Familie, sogar Hugo Roberts und seine Deputys, als ob der folgende Tag für jeden von ihnen die gleichen Verheißungen und Chancen bereithielte.
    Temple Carrol, Pete und ich fuhren Taifunrad und Autoscooter, aßen Zuckerwatte und spazierten hinaus zum Tanzpavillon über dem Fluss. Wir setzten uns alle drei auf eine grün gestrichene Holzbank oberhalb eines Hangs, an dessen Terrassen Cannas, Hibiskus und Rosenbüsche blühten und ein mit Steinen eingefasster Teich angelegt war, in dem sich rot-weiße Goldfische tummelten. Pete bemerkte Peggy Jean zuerst, die mit ihrem Mann draußen auf der Tanzfläche war, und winkte ihr zu.
    »Dort ist Mrs. Deitrich, Billy Bob«, sagte er aufgeregt.
    »Ja, na klar«, sagte ich und warf einen Blick über die Schulter.
    »Willst du nicht zurückwinken?«
    »Sie ist gerade beschäftigt.«
    Er runzelte die Stirn und blinzelte vor sich hin. Dann winkte er erneut, als könnte er unsere Stoffeligkeit damit wettmachen.
    Ich drehte mich um und schaute zum Tanzpavillon. Peggy Jean stand jetzt mit ihrem Mann beim Punschtisch, hatte aber den Blick genau auf mich gerichtet. Sie wirkte konsterniert, als ob ich mir etwas hätte zuschulden kommen lassen, sie verletzt hätte, ohne den Anstand zu besitzen und ihr den Grund zu verraten. Sie schien voller

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