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Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)

Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)

Titel: Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halo Summer
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diesen Bauwerken nicht schlau wurde, kehrte er ins Gebirge zurück und wuchs darin empor zu einem der höchsten Gipfel. Kein Wind pfiff um diesen hohen Zacken, als Gerald aus ihm herauswuchs und sich nach allen Seiten umsah. Ein ungewöhnliches Gefühl war das: Auf einem hohen Berg zu stehen und nicht von Wind und Wetter berührt zu werden. Es lag kein Schnee, es war nicht kälter als anderswo. Schwarz waren der Gipfel und das Geröll, das ihn bedeckte. Dieser Ort erlaubte Gerald einen Blick über das Land rundum und was er sah, überraschte ihn.
    Die Wälle und Mauern, die er vom Boden aus gesehen hatte, umschlossen weitläufig einen Bereich, der wie eine Stadt aus Panzerburgen aussah. Wachtürme, Gräben, Gitter, Stacheldrahtzäune, Felder mit Kratern von explodierten Minen und Rampen zum Abschießen großer Fluggeschosse sicherten die Panzerburg-Stadt gegen Eindringlinge ab. Gerald mochte sich gar nicht vorstellen, wie es für diejenigen gewesen war, die die Panzerstadt zu erreichen versucht hatten. Und für diejenigen, die darin eingeschlossen gewesen waren.
    Jetzt, da es sie alle nicht mehr gab, wirkte das Bollwerk rund um die Stadt lächerlich. Und das einzige Lebewesen, das noch in die Panzerstadt vordringen konnte, tat dies mühelos: Gerald verschwand im Fels des Berges und tastete sich durch das Innere der Erde in die Mitte der merkwürdigen Stadt vor, in der Annahme, sie verlassen vorzufinden. Er erschrak nicht wenig, als er wieder auftauchte und sich zwischen unzähligen geflügelten Geschöpfen wiederfand, die dem schlafenden Wesen, das er im Lesesaal der Bibliothek gesehen hatte, sehr ähnlich sahen.
    Sie lagen oder saßen herum, scheinbar schlafend oder doch zumindest geistesabwesend, in Träume oder Gedanken versunken. Nicht männlich, nicht weiblich, mit bloßer grauer Haut und großen, eng anliegenden Flügeln. Im ersten Moment wirkten sie wie versteinert, doch als Gerald genauer hinsah, bemerkte er, wie ihre Rippen sich im sachten Rhythmus bewegten, sehr langsam, als würden sie Atemzüge vollführen, die viele Minuten lang andauerten. Es gab hier nichts zu atmen, jedenfalls keine Luft, doch vielleicht belebten sich die Lieblosen, wie Grohann sie genannt hatte, von etwas anderem als Luft.
    Obwohl sie bisher keine Notiz von ihm nahmen, vielleicht weil er unangreifbar und unsichtbar war, wagte es Gerald kaum, sich von der Stelle zu bewegen. Geraldines Seele, die er an diesem Ort viel deutlicher vernahm als bisher, kam ihm in diesem Moment des Zögerns und Zweifelns zu Hilfe. Sie war hier, sie war in der Nähe. Da er nicht wusste, in welche Richtung er sich sonst wenden sollte, da überall Lieblose waren und die hohen Gebäude mit den dicken Mauern alle gleich wichtig und doch gleich nichtssagend aussahen, folgte er dem seufzenden, tonlosen Echo der Verlorenen, in der Hoffnung, die Seele seiner Tante zu finden oder das, was von ihr noch übrig war.
    Es musste einen Grund dafür geben, warum sich hier so viele Lieblose versammelt hatten und auch Geraldines Sehnen und Klagen an diesem Ort so eindringlich waren. Was unterschied diese Stadt von allen anderen Orten dieser Welt? Warum war sie so stark abgesichert worden? Hatte sich hier die Tür befunden, die nach Amuylett führte, eine damals neu zum Leben erweckte Welt? Waren die fünf Erdenkinder des Anbeginns von dieser Stadt aus aufgebrochen, um schließlich die Tür hinter sich zu schließen und die alte Welt der Verderbnis zu überlassen?
    Gerald wollte sich das gar nicht vorstellen. Denn womöglich würde sich all das wiederholen: Sumpfloch, eines Tages abgesichert wie kein anderer Ort in Amuylett, und fünf Erdenkinder, die flohen und nur einen Bruchteil der Bevölkerung mit sich nehmen konnten, bevor alles, was einmal eine blühende Welt gewesen war, verging … Nein, so durfte es nicht kommen. Niemals!
    Gerald merkte, wie seine Unangreifbarkeit labil wurde, angesichts dieser Gedanken. Er nahm sich zusammen, verscheuchte alle unangenehmen Überlegungen und folgte weiter Geraldines Echo, vorsichtig, da er sich durch wahre Massen von schlafenden, träumenden oder womöglich sogar wachen Engelwesen bewegte. Je länger er sie beobachtete, desto mehr kam es ihm vor, als ob die meisten von ihnen hellwach wären. Doch im Zeiten-Meer einer Ewigkeit, die sie schon hier verbracht haben mussten, bewegten sie sich so langsam, dass es aussah, als säßen sie still. Es schien auch keine Notwendigkeit für sie zu bestehen, herumzulaufen oder gar ihre Flügel zu

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