Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
„Ich war kurz davor, auch noch reinzuhüpfen!“
„Rackiné wurde furchtbar schnell nach unten gezogen“, erklärte Thuna. „Warum, weiß ich nicht!“
„Ich habe versucht, ihn von unten nach oben zu schieben“, sagte Gerald.
„Das habe ich gemerkt“, meinte Thuna. „Plötzlich ging es ganz leicht, vorher musste ich gegen einen Widerstand ankämpfen.“
„Ich glaube, ich konnte den Sog des Wassers bremsen. Etwas in der Art. Anders kann ich mir das nicht erklären.“
„Dann hatte Grohann recht?“, fragte Maria und zog schnell ihre Hände weg, da Rackiné das Wasser diesmal in ihre Richtung ausspuckte. „Du kannst etwas bewirken, wenn du unangreifbar bist?“
„Ich muss es noch erforschen“, antwortete Gerald. „Aber es kommt mir so vor, als könnte ich mit den Dingen vorübergehend verschmelzen. Mit dem Wasser zum Beispiel.“
Die Sonne knallte auf den Flecken Gras herab, auf dem Gerald saß, und allmählich hörte er auf zu frieren, sondern fand seine nasse Kleidung bei der Hitze eher angenehm. Ein Blick auf seine Hose verriet ihm jedoch, dass er sich trotz allem umziehen musste. Die sah nämlich aus, als hätte er sich gerade in einem gumbrischen Urwald-Tümpel gewälzt – überall hingen Pflanzenteile an ihm herum, Stängel, welke und faulige Blätter, schwarze Krümel und eine grüne, undefinierbare Matsche. Sein ehemals weißes Hemd war olivschimmelgrau verfärbt und auf unvorteilhafte Weise marmoriert. Das war noch eine schmeichelhafte Beschreibung. Rackiné wählte andere Worte, als er seine Stimme endlich wiedergefunden hatte.
„Schicke Dünnschiss-Optik, Gerald! Stilvoll wie immer!“
„Freut mich, dass du noch lebst, Stoffhase. Ist dir eigentlich klar, dass ich meine Dünnschiss-Klamotten ausziehen kann – und du nicht?“
Rackiné warf einen vorsichtigen Blick auf seine Fellarme und -füße und schrie laut auf. Wie sollte er dieses grüne Fell jemals wieder weiß bekommen?
Thuna wrang ihre langen Haare aus und lachte. Noch vor einem Jahr wäre sie vor Scham im Boden versunken, weil Lars unmittelbar vor ihr stand und sie anstarrte, während sie verschmiert und graugrün war, von oben bis unten. Doch über diese Unsicherheit war Thuna hinaus. Zumindest in diesem Moment, da die Erleichterung darüber, dass Rackiné es geschafft hatte, stärker war als jede andere Empfindung.
Außerdem sah sie in Lars’ Augen diese stumme Faszination und Bewunderung ihr gegenüber, die sie früher bei ihm vermisst hatte. Das Interesse, das aus seinen Augen sprach, hatte sich in diesen Sommerferien verstärkt. Vielleicht, weil Thuna in letzter Zeit Sternenstaub in ihre Haare kämmte. Besonderen Sternenstaub, den Grohann irgendwie verändert hatte. Und zwar so verändert, dass er an Thuna ein grünlich-blaues Leuchten hervorrief. Seit sie diesen Staub verwendete, sah Lars sie anders an. So einfach war das. Ob er aufhören würde, sie so anzusehen, wenn sie den Sternenstaub in der Schachtel ließ und wieder ganz normal aussah? Sie hatte keine Lust, es auszuprobieren.
Thuna und Gerald gingen zur Festung zurück, um sich umzuziehen. Sie hatten den gleichen Weg, denn in diesen Ferien hatte Wanda Flabbi die Mädchen im schönen Gästetrakt des Haupthauses einquartiert, dessen Zimmer groß und hell waren und zum Garten hinausgingen. Thuna bog im dritten Stock ab, wo sie ein Zimmer mit Maria und Lisandra bewohnte, und Gerald stieg weiter die Treppen hinauf bis zum obersten Stock unterm Dach, in dem sich die Wohnung von Herrn Winter, dem Geschichtslehrer, befand.
Herr Winter galt offiziell als Geralds Vater. Damals, vor mehr als elf Jahren, als Ritter Gangwolf seinen sechsjährigen Sohn nach Amuylett geholt hatte, war Herr Winter von ihm dazu angestellt worden, die Rolle des Vaters zu übernehmen und sich um Gerald zu kümmern. Niemand sollte erfahren, dass Ritter Gangwolf mit Gerald verwandt war. Es sei viel zu gefährlich, so hatte es Ritter Gangwolf seinem Sohn zu jener Zeit erklärt, doch tatsächlich dämmerte es Gerald eines Tages, dass sein richtiger Vater für Kindererziehung nicht viel übrighatte. Immerhin, in der Wahl von Geralds Ersatzvater hatte Ritter Gangwolf ein gutes Händchen bewiesen. Herr Winter war Gerald sehr ans Herz gewachsen und wenn er ehrlich war, stand ihm dieser Mann manchmal näher als sein echter Vater.
Gerald öffnete die Wohnungstür, eine alte, dicke Eichentür mit geschnitzten Faunen, Unholden und Gnomen. Das sonnige Reich, das er nun betrat, war sein eigentliches
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