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Feuersteins Ersatzbuch

Feuersteins Ersatzbuch

Titel: Feuersteins Ersatzbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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etappenweise, damit sich der Körper dem Druckunterschied anpassen kann), was man anziehen muss (Polarkleidung, denn bis vor 10 000 Jahren war der Gipfel von Gletschern überzogen, und auch heute noch herrscht Permafrost knapp unter der Oberfläche) und wie man sich bei Asthma, Lungenödem und Höhenkoller verhält, bis der Notarzt kommt (abwarten und Tee trinken). In gespannter Erwartung, mit diesem gewissen Himalaja-Gefühl, machten wir uns frühmorgens an den Aufstieg.
    Von wegen Aufstieg! Auf einer bequemen, wenn auch engen und steilen Asphaltstraße kann man bis ganz nach oben fahren, bis zum letzten der 4205 Meter, ohne auch nur einen einzigen Schritt zu tun. In knapp zwei Stunden könnte man dies mühelos schaffen, doch aus Sorge um die Gesundheit meiner Mannschaft, verbunden mit meinem unbändigen Forscherdrang, dehnte ich die Zeit auf fünf Stunden aus. Denn endlich hatte ich die Gelegenheit, an Ort und Stelle eines der vielen Wunder der Physik persönlich zu überprüfen: Nämlich, dass der Siedepunkt des Wassers bei zunehmender Höhe und abnehmendem Luftdruck geringer wird. Ob das wirklich stimmt?
    Dazu hatte Wolpers Wasser, Spirituskocher, Topf und ein Riesenthermometer aus dem Physiklabor einer Schule besorgt, außerdem einen Astronautenanzug. Letzterer hatte zwar mit dem vorgesehenen Experiment nichts zu tun, doch sollte ich ihn für einen Aufsager anziehen, eine Szene in der Steinwüste, die wir unterwegs in 2500 Metern Höhe passieren würden, einer veritablen Mondlandschaft, die deshalb als Trainingsstätte für die amerikanischen Astronauten diente, zur Vorbereitung auf die Mondlandung.
    Es war tatsächlich eine außerirdische Szenerie. Jeden Augenblick erwartete ich, dass hinter den Mondbergen die Erde aufgehen würde, und in Zeitlupe filmten wir meinen moon walk, ein paar große Schritte für Feuerstein, aber nur ein kleiner für die Menschheit. Weil der Anzug so gut vor der Kälte schützte, die da oben schon herrscht, behielt ich ihn für den Rest der Fahrt an.
    Beginnend auf Meeresspiegelniveau, hatten wir nach jedem Höhengewinn von 1000 Metern unsere Versuchsanordnung aufgebaut, Wasser gekocht und, sobald es zu wallen begann, die Temperaturanzeige abgefilmt — und siehe da, es stimmt: Schon tausend Meter über dem Meer waren es deutlich weniger als 100 Grad Celsius, und bei der Viertausender-Marke nur noch 88, was sich aber leider nicht mehr so genau ablesen ließ, da unser Thermometer einen Sprung bekommen hatte (schuld: Wolpers). Astronomen, die auf dem Weg zur Arbeit an uns vorbeifuhren, winkten freundlich, wie das von Wissenschaftler zu Wissenschaftler üblich ist. Erst später erfuhren wir, dass sie oben ganz aufgeregt berichtet hatten, auf halbem Weg sitze ein Astronaut am Straßenrand und koche Suppe — weshalb sie sofort in die Druckkammer verfrachtet wurden, weil man meinte, das sei das erste Anzeichen für den gefürchteten Höhenrausch.
    Bei der Ankunft auf dem Gipfel des Mauna Kea bekamen auch wir den Höhenrausch zu spüren, freilich viel milder und erträglicher, als es in den Prospekten angedroht war. Ich war noch nie in einer solchen Höhe gewesen; dreitausend Meter im Kleinflugzeug ohne Druckausgleich waren bisher das höchste der Gefühle, da ist der allmähliche Abschied von der Erde noch nicht zu spüren. Viertausend hingegen sind tatsächlich die deutlich fühlbare Schwelle zum Dach der Welt, die unterste Region der obersten Gipfelstürmer, und bestimmt auch schon Heimat der ersten Yetis. Man fühlt sich seltsam leicht und euphorisch, fast übermütig, zugleich aber auch ein wenig schwindlig, mit pochenden Schläfen und weichen Knien.
    Mit leichten Gummiknien betrat ich das Zwillings reich der beiden Keck-Türme. Der Pressemensch des Observatoriums nahm uns gleich am Eingang in Schutzhaft und spulte in freundlich-gelangweilter Routine all die Informationen ab, die Amerikaner für wichtig halten: wie groß, wie weit und was es kostet. Zum Philosophieren hatte er weder Zeit noch Lust. Statt dessen trieb er ständig Stephan zur Eile an, wenn dieser, wie es seine Art war, in falsche Richtungen lief oder verbotene Türen öffnete, stets auf der Suche nach neuen, aufregenden Blickwinkeln für die Kamera.
    Nach dem dramatischen Bild von außen war der Eindruck im Inneren zunächst eher dürftig: Da saßen keine staunenden Keplers und Tycho Brahes vor riesigen Rohren und schraubten am Okular, statt dessen hockten Studenten aus aller Welt vor Batterien von Computern: Datenreihen

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