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Feuersteins Ersatzbuch

Feuersteins Ersatzbuch

Titel: Feuersteins Ersatzbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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ich ihn besuchte, war es klar, dass ich nicht mit leeren Händen kommen durfte: ein Sack Ugali, neue Töpfe für Mama und mindestens drei Hühner, damit auch der Rest der Familie eins abbekam. »My friend!« schrie er jedes Mal, wenn er mich sah, und erdrückte mich fast in der Umarmung.
    Das war der harmlose Anfang. Als ich einmal früher als vorgesehen angereist kam, fand ich heraus, dass er meine Kleiderspende vom letzten Mal — ich schleppte immer kofferweise gebrauchte Klamotten aus dem Bekanntenkreis mit nach Kenia — nicht für die Projektkinder verwendet hatte, sondern ausschließlich für seine Familie. Angesichts der allgemeinen Lage kenianischer Lehrer (»beschissen«) und seiner besonderen mit fünf Kindern war das irgendwie verständlich, und ich machte auch keine große Sache draus. Doch wurde er allmählich zur Nervenplage. Er lauerte mir vor dem Hotel auf, schrie »My friend!« und lud sich zum Essen ein. Oder er begegnete mir »zufällig« auf der Straße und lotste mich in einen Laden, weil er »gerade kein Geld dabei« hatte. Er war stets bestens über meine Reisepläne informiert und fing mich einmal sogar bei meiner Ankunft auf dem Flughafen von Nairobi ab. »Damit du dich in der großen Stadt nicht verirrst!«, weshalb er die beschwerliche Busreise aus Mombasa auf sich genommen hatte... die ich natürlich bezahlen musste. Ebenso die Rückfahrt und den Zement für den Anbau an sein Lehmhaus, weil ein sechstes Kind unterwegs war.
    Höhepunkt seiner Treibjagd war meine wunderschöne, aber wegen des desolaten Schienennetzes und der einsturzgefährdeten Brücken immer ein bisschen lebensgefährliche Bahnreise nach Mombasa. »MY FRIEND!« schallte es bei der Ankunft über den Bahnsteig, mächtiger als jeder Lautsprecher, und da stand Mr Fondo und wedelte mit einem Stück Stoff in der Hand: Er habe sich eben einen Anzug anmessen lassen und brauche sofort das Geld für den Schneider. Kann man da Nein sagen?
    Das war das letzte Mal, dass ich ihn sah. Als ich ein Jahr später wiederkam, war ein neuer Projektleiter im Amt. Mr Fondo hatte die Kasse veruntreut und war gefeuert worden. Ich werde das quälende Gefühl nicht los, dass ich an dieser Entwicklung mitschuldig bin...

    Und dann trat Mary in mein Leben.
    Sie trug eine gelbe Uniform und saß hinter dem HERTZ-Schalter im »Sindbad«-Hotel von Malindi. Sie las in einem dicken, zerfledderten Schmöker und blickte nie hoch, wenn ich vorbeiging. Sie hatte wohl nie einen Kunden, fünf Tage lang.
    Am sechsten Tag brauchte ich ein Auto. Mit feierlichem Ernst zeigte sie mir Werkzeugkasten und Wagenheber — sie konnte ja nicht wissen, dass ich zu jenen gehöre, die lieber hundert Kilometer auf Felgen fahren, bevor sie einen Reifen wechseln. Ins Gespräch kamen wir erst am nächsten Tag, als ich den Wagen wieder zurückgab. »Danke für den guten Service«, sagte ich zum Abschied, »ich werde Sie vermissen.« Sie sah mir ernst in die Augen und antwortete: »Prove it!«— Beweise es mir. Da fasse ich mir Mut, wie ich ihn sonst bei ersten Begegnungen niemals habe, und fragte sie, ob sie mit nach Nairobi kommen wolle, für zwei Tage bis zu meinem Rückflug nach Hause. Sie dachte nach und sagte dann: »Ich habe ohnehin drei freie Tage gut.«
    Zu Beginn dieses Kapitels hatte ich angekündigt, ich würde meine persönliche Beziehung zu Kenia nur kurz streifen, doch merke ich, dass die Fülle der Erinnerungen zu groß ist, um sich einschränken zu lassen. Sie drängen sich einfach an mir vorbei und möchten ein eigenes Buch werden, zu dem ich aber noch lange nicht bereit bin... wahrscheinlich nie. Denn ich bin hilflos und feig bei den eigenen Emotionen; um mit ihnen umzugehen, muss ich sie verdrängen, verfälschen oder verspotten. Ich muss daher dringend geistige Sandsäcke aufschütten, um einen Dammbruch zu verhindern. Schließlich will ich ja hauptsächlich von meiner Filmarbeit erzählen.
    Ich greife deshalb für den Rest meiner persönlichen Kenia-Erfahrung zum nüchternen Handwerk des Journalismus: ein Interview mit klaren Fragen und präzisen Antworten, kein abschweifendes Geschwätz mehr und kein zielloses Stochern in einer unbewältigten Vergangenheit. Stattdessen ein ehrliches, offenes Gespräch mit mir selbst.

Onkel Mzees Hütte

Dieses Selbstgespräch fand am Karsamstag 2001 auf meiner Terrasse in der Nähe von Köln statt und wurde am nächsten Tag bearbeitet und gekürzt. Stellen, die zwar für das Verständnis wichtig wären, aber trotzdem aus

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