Feuersteins Ersatzbuch
das Filterhaus zertrümmert — nicht mal Knut könnte es reparieren, denn er fiel im Suff vom Motorrad und wurde überfahren. Der Garten ist vertrocknet, die Buschsteppe hat ihn zurückerobert.
FEUERSTEIN: Und Mary?
ICH: Sie führt eine wüste Kneipe mitten in der Altstadt von Malindi und prügelt sich abwechselnd mit korrupten Polizisten und besoffenen Gästen. Das Grundstück in der Stadt wurde zwangsversteigert, die halb fertige Pension ist jetzt nur noch viertelfertig — sie verfällt genauso wie mein Haus. Mary ist älter geworden, aber nicht schwächer, und ich bewundere sie nach wie vor. Sie sagte mir mehrmals, ich solle mich in Deutschland nach einem Mann für sie umsehen, aber ich wüsste nicht, wie ich das angehen soll. Vielleicht meldet sich jetzt einer.
FEUERSTEIN: Wie lautet deine persönliche Bilanz?
ICH: Ich habe ein Haus in Afrika am Rand des Indischen Ozeans. Ein vermoderndes Haus, das ich längst verschenkt oder verhökert hätte, würde nicht Mary immer noch drin wohnen. Und einen dreibeinigen Hocker, handgeschnitzt, mit eingelegten bunten Muscheln. Den hatte mir Don als Geschenk nach Deutschland mitgebracht: einen Mzee-Stuhl seines Stammes, der Luo vom Viktoriasee. Nur der Älteste der Gemeinde hat das Recht, darauf zu sitzen, und was er dabei sagt, ist Gesetz. Ich bin der Älteste meiner Gemeinde, und jetzt sitze ich auf ihm und führe ein Selbstgespräch. Es ist Gesetz, aber niemand hält sich dran.
Johnny Boohoo
Es ist möglich, dass Wolpers der wahre Grund für den Niedergang von Malindi ist, vielleicht sogar von ganz Kenia. Denn im Juli des Jahres 1994 war er dort bei mir zu Gast, und bis dahin war alles noch einigermaßen im Lot gewesen. Aber ich halte das für unwahrscheinlich. Denn wenn auch sein zerstörerisches Potential enorm ist — das hieße doch, ihn überschätzen.
Damals hatten wir gerade die Arbeit am ersten gemeinsamen Reisefilm hinter uns, Sansibar, dem Vorläufer von Feuersteins Reisen, durch den wir überhaupt erst auf die Idee zu dieser Reihe gekommen waren. Es war ein Schnellschuss des ZDF, um ein Sommerloch zu stopfen, im Auftrag des damaligen Unterhaltungschefs Fred Kogel... tja, so ändern sich die Zeiten.
Produzent und Kameramann war der Münchner Filmemacher Peter Hielscher, hoch motiviert und kollegial, dazu ein geschickter Improvisator — unerlässlich bei einer kurzen Drehzeit von nur sieben Tagen. Wie die meisten Produzenten, die selber die Kamera führen, hatte er bei Beginn jeder Szene klar vor Augen, wie sie aussehen sollte. Das hatte ich genauso — aber manchmal vielleicht ein bisschen anders. Und so kam es schon mal vor, dass ich bei meiner geistreichen, mit viel Händefuchteln unterstrichenen Schlusspointe gar nicht mehr im Bild war, weil Peter längst abgeschwenkt hatte und was anderes drehte in der Meinung, ich sei schon fertig. Das war vielleicht gut so, denn ich war damals noch unsicherer, als ich es immer noch bin. Um diese eine Szene mit dem Tintenfisch tut es mir aber auch heute noch Leid: Da hatte ein Fischer einen riesigen Oktopus, der noch lebte und sich heftig dagegen wehrte, an den Fangarmen gepackt und war dabei, ihm an der Hafenmauer die Tinte aus dem Leib zu klopfen. In schauriger Faszination stand ich daneben und kommentierte den Zweikampf (der Fischer gewann)... doch Peter hatte sich umgedreht und filmte den Sonnenuntergang.
Es war mein zweiter Besuch Sansibars in vier Jahren, und der kurze Abstand reichte aus, um die wachsende Spannung zu spüren, die die Insel in eine ähnlich negative Entwicklung treibt wie Kenia, mit zehnjähriger Verspätung. Es gab die ersten Raubüberfälle am Strand, die ersten Warnungen, nachts in der Stadt nicht mehr ganz so unbekümmert dem Frieden zu trauen, für den Sansibar in ganz Afrika berühmt war, und inzwischen scheint es um diesen Frieden endgültig geschehen zu sein: Krawalle, ethnische Konflikte und die dringende Aufforderung an Touristen, sich von ihren Strandhotels nicht allzu weit zu entfernen.
Vor etwa vierzig Jahren hatten sich die englische Kolonie Tanganjika und das Sultanat Sansibar zu einem neuen, unabhängigen Staat zusammengeschlossen, dessen Name aus den jeweils ersten drei Buchstaben ihrer alten Bezeichnungen gebildet wurde: Tansania. Es war ein Zusammenschluss von recht ungleichen Partnern: Das riesige schwarzafrikanische Festland mit einer Ausdehnung von fast einer Million Quadratkilometern vom Indischen Ozean bis zum Viktoriasee und ein vorgelagertes Inselchen von nicht
Weitere Kostenlose Bücher