Feuersturm: Roman (German Edition)
tiefere Gewässer.
»Ich hab bereits ein Bad im Styx genommen. Ein weiteres wird mein Karma auch nicht viel mehr verhunzen.«
Anya schluckte. Trotz seines lässigen Auftretens war sie überzeugt, dass auch Charon dafür einen Preis würde zahlen müssen.
Charon watete in das Wasser, bis es ihm bis zum Kinn reichte. Dann fing er an zu schwimmen. Anya klammerte sich am Rand der Schildkröte fest, während die Salamander sich unter ihr und um sie herum drängelten. Sie fühlte, wie ihre Pfoten an ihrer Rüstung kratzten, um sich daran festzuklammern. Vielleicht taten sie gut daran, das Wasser zu fürchten.
Das Treideln führte allmählich in ein tiefes Dunkel, in dem Wasser in gewundenen Stollen tropfte. Obwohl Anya kaum eine Strömung wahrnehmen konnte, schien es, als müsste Charon bisweilen gegen einen schweren Sog ankämpfen, was dazu führte, dass sich das Elektrokabel ächzend spannte. Mehr als einmal glaubte sie, etwas zu sehen, das sich unter dem Wasser bewegte, und jedes Mal alarmierte sie Charon im Flüsterton. Doch der signalisierte ihr nur grunzend, dass er ihre Warnung vernommen hatte, und zog sie weiter in die Schwärze.
Anya zitterte, und die Molche zerrten an ihr, während sie fortwährend ihre Position veränderten wie Heuschrecken auf einem Baum. Sparky blinzelte sie an, und wieder regte sich Anyas Gewissen. Der Gedanke daran, wie die Molche den unschuldigen Geist des Schutzmanns gefressen hatten, machte ihr zu schaffen. Anya hatte nie grundlos einen Geist verschlungen, aber die Salamander wurden nun mal nicht von irgendwelchen Moralvorstellungen geleitet. Ihr atavistischer Hunger schockierte Anya.
Und doch … sie führte sie in die Schlacht gegen Hope. Anya nahm an, dass ihre Widersacherin alle Geister, die noch ihrer Kontrolle unterlagen, gegen sie einsetzen würde, darunter auch das Kontingent der ehemaligen Museumsgeister. Viele von ihnen waren einst Krieger gewesen, und die würden kämpfen, ob sie wollten oder nicht. Andererseits waren diese Geister an dem Konflikt vollkommen schuldlos. Konnte sie diese armen Seelen, die nicht minder unschuldig waren als der Schutzmann, einfach so vernichten, um andere vor Hopes Machenschaften zu schützen?
Sie schüttelte den Kopf, woraufhin ein Salamander, der auf ihrem Helm gethront hatte, in ihren Schoß fiel und sogleich mit einem wütenden Schnauben an ihrem Arm heraufkrabbelte. Nie zuvor hatte Anya so sehr an ihrer Rolle der Seelenverschlingerin gezweifelt. War sie nicht anders als die Salamander, die einfach wahllos Geister verschlangen, nur um einen primitiven Hunger zu stillen? Immerhin war sie als Mensch doch imstande, gut und böse zu unterscheiden.
Aber die Offenbarung ihrer Mutter hatte auch in diesem Punkt Zweifel gesät. Ein Teil von ihr weigerte sich, sich mit der Erinnerung an die brennende Gestalt im Schlafzimmer ihrer Mutter zu beschäftigen. Der Gestalt, die ihr Vater war. Anyas Mutter hatte nie zuvor von ihm gesprochen. Anya hatte immer angenommen, dass er ein ganz normaler Mensch war, vielleicht ein Versager mit einem Alkoholproblem, der kein Interesse an seiner Tochter gezeigt hatte. Gegen diese Vorstellungen hatte Anya sich schon vor langer Zeit einen emotionellen Panzer zugelegt, auch wenn ein kleiner wunder Punkt in ihrer Seele sich immer noch fragte, ob er seine Tochter je gewollt hatte, ob er sie je hatte kennenlernen wollen.
Und jetzt … Jetzt wusste sie, dass er sie allerdings wollte. Und dass er ein Monster war.
Was machte das aus ihr?
Ein Molch saß auf ihrem Knie und tschirpte sie voller Verehrung an. Sein Schwanz zuckte hin und her, und er blinzelte und schnurrte leise. Wie konnte sie diesen Kreaturen vorwerfen, dass sie sich verhielten, wie es ihre Natur von ihnen verlangte? Das war, als würde man sich darüber empören, dass Löwen eine Gazelle rissen – da gab es kein Gut oder Böse, da gab es nur Instinkt.
Anya tätschelte den Salamander mit der Fingerspitze und dachte nach. War sie wirklich anders als diese Kreaturen? Konnte sie sich im Ernstfall dazu durchringen, Unschuldige zu töten, um eine schlimmere Katastrophe abzuwenden?
Sie wusste tief im Herzen, dass sie töten würde, um die Molche zu schützen. Vielleicht war das die einzige Antwort, die sie im Augenblick brauchte. Mit Fragen zu den Themen Menschlichkeit und Schuld konnte sie sich später befassen.
Charon hatte das Boot durch einen engen Tunnel gezogen und schleppte es nun Richtung Ufer. Es schien, als lastete das Wasser, das an seinem Mantel
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