Feuersuende
Dana liebte es, sich das lange, goldblonde Haar ins Gesicht fallen zu lassen und dahinter wie hinter einer Gardine hervorzulugen. Kuckuck! Helles Kinderlachen. Eine unbeschreibliche Sehnsucht ergriff Besitz von ihm. Es fühlte sich an wie körperlicher Schmerz.
„Wo wir jetzt sind, habe ich immer recht“, sagte sie und riss ihn aus seinen Gedanken. „In dieser einen Hinsicht mache ich keine Fehler.“
Etwas in ihrem Ton ließ ihn aufhorchen. „Könntest du mir freundlicherweise verraten, was diese eine Hinsicht ist? Sag mir mal, was hier überhaupt gespielt wird. Sieben Jahre haben wir miteinander verbracht, und während der ganzen Zeit ist dir nie eingefallen, mir reinen Wein einzuschenken und mir zu verraten, dass du keine Sterbliche bist?“
„Wir waren sieben Jahre zusammen, ohne dass du es für nötig befunden hast zu erwähnen, dass du ein Reaper bist“, konterte sie. „Und nicht bloß irgendeiner, sondern Sutekhs Sohn.“
Lokan fragte sich im Stillen, in welchen Dingen sie ihm noch die Wahrheit verschwiegen haben mochte. Was in Teufels Namen stellte Bryn nun in Wirklichkeit dar? Und welche Konsequenzen ergaben sich daraus? Zum Beispiel für Dana.
Andererseits hatte Bryn recht. Wer war er, dass er mit dem Finger auf andere zeigen konnte? Ein Reaper, Sutekhs Sohn. Und welche Konsequenzen hatte das für Danas Dasein?
Bryn richtete sich auf und schaute ihm mit funkelnden Augen gerade ins Gesicht, als wollte sie ihn mit ihrem Blick versengen. Bryn derart in Rage – das hatte er noch nicht allzu oft erlebt. Genau genommen noch gar nicht. Sie war eigentlich immer nur die ausgeglichene, redselige Bryn gewesen, ein Ruhepol, der es ihm erlaubte, einfach nur er selbst zu sein.
Lokan wunderte sich, wie er auf so einen Gedanken kommen konnte, und schob ihn beiseite. Dennoch war er versucht, ihr zu sagen, wie sehr er sie vermisst und wie oft er an sie gedacht hatte, wie ihr Bild immer wieder vor seinen Augen aufgetaucht war. Er wollte seine Hand nach ihr ausstrecken, aber just, als er sie berühren wollte, hatte sie das Visier schon wieder heruntergelassen. Es war, als sei sie einen Schritt vor ihm zurückgewichen, obwohl sie sich keinen Zentimeter bewegt hatte. Und alles, was Lokan schon auf der Zunge lag, verschwand in der Versenkung, aus der es gekommen war. War wohl auch besser so.
Lokan zuckte die Achseln. „Es ist eben nie zur Sprache gekommen“, meinte er schließlich.
„Dito“, antwortete Bryn kühl.
So hatte er das gar nicht sagen wollen, denn auch das war nicht die ganze Wahrheit. Sie hatte ihm genügend Gelegenheit gegeben, von sich zu erzählen, und er hatte sie in dem Glauben gelassen, dass er der Sohn eines einflussreichen Gangsterbosses war. In einer gewissen Weise war das ja nicht einmal ganz falsch. Nur dass sein Vater keiner der üblichen Gangsterbossewar. Umgekehrt hätte auch sie die Chance gehabt, von sich zu erzählen, hatte es aber dabei belassen anzudeuten, dass sie mit ihrer Familie gebrochen hatte. Lokan wollte auf jeden Fall verhindern, dass seine Tochter in dieses Gestrüpp aus Lügen und Halbwahrheiten geriet.
„Ist Dana …“, er machte eine vage Handbewegung, „dasselbe, was du bist, was immer es ist?“
Er konnte sie nicht einordnen. Als Gesandter seines Vaters war er weit in den verschiedenen Reichen der Unterwelt herumgekommen, und so kannte er sich unter den verschiedenen Spezies der Supernaturals aus wie sonst kaum jemand – von Izanamis Shikome bis zu Xaphans Feuerbräuten. Dass sie nicht zur Isisgarde gehörte, wusste er, da er sie schon nackt gesehen und nirgends an ihr das dunkle Zeichen der Isis entdeckt hatte. Sie gehörte zu einer Art, der er bislang noch nicht begegnet war.
Bryn sah ihn unter ihren langen Wimpern hindurch an. „Dana ist eine Sterbliche“, sagte sie, ohne näher auf die andere Frage einzugehen.
„Bryn, ich war selbst ein Sterblicher, bevor ich heranwuchs. Und das war bei dir vermutlich nicht anders. Natürlich ist Dana ein menschliches Wesen – noch. Aber was ist sie in zehn oder zwanzig Jahren?“
Bryn starrte auf ihre Fußspitzen. „Ich weiß es nicht.“
„Du weißt es nicht? Oder willst es nur nicht sagen?“ So billig wollte Lokan sie nicht davonkommen lassen. Er griff nach ihrem Arm, und als sie den Kopf hob, blickte er in ein Gesicht voller Sorge, Furcht und Schmerz.
„Ich weiß es wirklich nicht“, wiederholte sie. „Ich weiß nur, dass sie jetzt sterblich ist. Und das heißt auch, dass jemand sie töten kann. Zum
Weitere Kostenlose Bücher