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Feuersuende

Feuersuende

Titel: Feuersuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eve Silver
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die er bekam, war ein kurzer Blick über die Schulter.
    „Schon gut. Du hast gewonnen“, murmelte er.
    Seine verführerische kleine Bryn zeigte Facetten, die er nicht erwartet hatte. Was für eine vielschichtige junge Dame. Aber Lokan schwor sich im Stillen, alle diese Schichten freizulegen und zu ihrem Kern vorzudringen, bevor dieser Bootsausflug vorüber war.
    „Ich möchte, dass du zurückgehst.“
    Bryn verdrehte genervt die Augen. „Lokan, du wiederholst dich. Das hatten wir schon. Ich kann nicht zurückgehen. Ich kann nur vorwärts. Du musst dir vorstellen, dass ich so etwas wie ein Reiseführer auf einer Einbahnstraße bin. Die Pforten vor uns öffnen sich, und wenn wir sie passiert haben, schließen sie sich hinter uns wieder. Da gibt es kein Zurück.“
    „Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass du auf demselben Weg, auf dem du hier hereingekommen bist, auch wieder herauskannst. Geh zurück, geh zu Dana. Kümmere dich darum, dass sie in Sicherheit ist.“
    Sie holte ihr Paddel aus dem Wasser und legte es sich quer über die Knie. Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Sie wollte um jeden Preis verhindern, dass ihre ganzen Ängste und ihre Unsicherheit offenbar wurden, wenn sie jetzt allzu spontan antwortete. Verzweifelt klammerte sie sich an den kleinen Rest Hoffnung, den sie für sich, für Lokan, aber vor allem für ihre Tochter hatte.
    Sie drehte ihm weiter den Rücken zu, richtete den Blick starr geradeaus und antwortete ihm schließlich betont unterkühlt und ohne sich zu ihm umzudrehen. „Mal angenommen, ich käme hier wirklich heraus und wäre wieder bei Dana. Wie sollte ich sie beschützen? Wie stellst du dir das vor? Dass ich deinen Vater austrickse? Meine Brüder sind stark und mächtig, aber Sutekh sind sie trotzdem nicht gewachsen. Er wird Dana finden und mit sich nehmen. Und er wird mit ihr machen, was er mit dir getan hat.“ Bryn konnte den schrecklichen Gedanken kaum aussprechen, ohne dass ihr davon übel wurde. „Ich habe gar keine andere Wahl. Ich muss dich hier herausführen. Du bist der Einzige, der wirklich für Danas Schutz sorgen kann.“
    Lokan gab einen unwilligen Laut von sich. „Ich habe noch nicht einmal für meinen eigenen Schutz sorgen können.“
    Sie hörte deutlich die Selbstvorwürfe und die Frustration aus seiner Stimme heraus, Regungen, die sie selbst gut kannte. Es gab fast täglich eine oder mehr Situationen, in denen sie sich über sich selbst und ihre Unzulänglichkeit ärgerte. Vielleicht war es an der Zeit, daran etwas zu ändern.
    Jetzt drehte sie sich doch zu ihm um und erschrak fast, dass er so dicht hinter ihr war. Viel zu dicht. Seine Augen schienen in diesem Zwielicht dunkler zu sein als gewöhnlich, und es war auch nicht mehr das Blau in ihnen, das überwog, sondern ein Grau wie die Farbe einer Gewitterwolke. Sein Gesicht war so nah, dass sie jede einzelne Wimper und jedes kleine Fältchen in seinen Augenwinkeln unterscheiden konnte. Sie sah die schärfer gewordenen Züge um seinen Mund, Spuren dessen, was er durchgemacht hatte.
    „Vielleicht ist es für uns die einzige Möglichkeit voranzukommen, wenn wir die Vergangenheit loslassen. Ich meine damit nicht vergessen, sondern nicht mehr daran festhalten, daraus lernen, um es uns künftig leichter zu machen als bisher.“
    Seine Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Er schwieg. Dann setzte er sich zurück auf seinen Platz am Heck und nahm das Paddeln wieder auf. Bryn streckte ihrRuder seitwärts aus dem Boot und ließ die Spitze an der Felswand entlangschaben.
    „Es ist seit einer Weile enger geworden“, bemerkte Lokan.
    Sie fragte nicht nach, was er mit einer Weile meinte. Wahrscheinlich hätte er es auch selbst gar nicht genauer benennen können. Und sie selbst konnte, selbst wenn ihr Leben davon abhinge, längst nicht mehr einschätzen, wie lange sie beide schon hier unten waren – ein Jahr, zehn Minuten, einen Tag. Theoretisch stand jede der Pforten für eine Nachtstunde. Zwölf Pforten musste der Sonnengott Ra auf seiner nächtlichen Reise durch die Unterwelt durchqueren, ehe er den Menschen wieder im Osten am Horizont erschien. Und doch gingen die Uhren in der Unterwelt auf eine verzwickte Art anders.
    Da Bryn jeder Augenblick, den sie in Danas Leben verpasste, das Herz brach, wog diese Ungewissheit umso schwerer. Sie hatte noch gar nicht begonnen, sich damit auseinanderzusetzen, dass sie den ganzen Rest von Danas Leben verpassen würde. Sie wollte auch jetzt nicht daran denken.

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