Feuertanz
im Augenblick alle Hände voll zu tun, aber diese Sache ließ ihr einfach keine Ruhe. Vielleicht lag es ja an dem unablässigen Gefühl, versagt zu haben. Vielleicht aber auch an der rätselhaften Sophie. In den letzten Nächten hatten sie die dunklen Augen des Mädchens sowie das Kraftfeld, das sie umgab, in ihren Träumen heimgesucht … Zu viele Fragen waren in dieser Ermittlung immer noch offen. Um ihrer eigenen Gemütsruhe willen hatte Irene beschlossen, noch ein wenig tiefer zu graben. Sie war davon überzeugt, dass sie von Sophie nie die Wahrheit erfahren würden.
Erst einmal verfehlte sie die Abzweigung und musste einige hundert Meter weiterfahren, bis sie wenden konnte. Der Weg war nicht geräumt, aber die Schneedecke war nur ein paar Zentimeter dick, und deswegen war es kein Problem, durchzukommen. Zwischen den Bäumen lagen bereits tiefe Schatten, aber die dünne Schneedecke reflektierte das letzte Licht des Tages.
Irene blieb noch einen Augenblick in ihrem Wagen sitzen und betrachtete die verkohlten Überreste des Hauses. Ein kleines Stück der Nordwand und der gemauerte Schornstein ragten auf und zeichneten sich wie verrottete Zahnstümpfe vor dem schwachen Licht der Dämmerung ab. Was von dem Haus übrig geblieben war, lag in zugeschneiten Haufen um die Brandstelle herum.
Was war an jenem Spätnachmittag im November wirklich geschehen?
Es gab mehrere denkbare Szenarien.
Zunächst einmal die Version, von der Angelica behauptete, Sophie habe sie ihr erzählt. Das Mädchen war nach Hause gekommen, hatte etwas gegessen und war dann mit ihren Trainingssachen auf dem Fahrrad losgehetzt. Sie hatte nicht bemerkt, dass Magnus Eriksson im Obergeschoss schlief, und auch keinen Brandgeruch wahrgenommen.
In diesem Fall gab es vier mögliche Brandursachen.
Am wahrscheinlichsten war, dass Eriksson im Bett geraucht hatte und eingeschlafen war. Schließlich war ihm das schon einmal passiert.
Zum zweiten konnte auch der unbekannte Pyromane von Björlanda zugeschlagen haben. Vielleicht hatte er ja das Feuer in der Vermutung gelegt, niemand sei im Haus.
Natürlich konnte es in dem alten Haus zu einem Kurzschluss gekommen sein, wobei die Brandtechniker keinerlei Hinweise darauf gefunden hatten. Im Gegenteil. Sie hatten gesagt, dass die Elektrik offenbar ganz neu gewesen war.
Auf die Frage, ob es im Haus Kerzen gegeben habe, die möglicherweise nicht gelöscht worden seien, hatte Angelica geantwortet, dass sich nirgendwo Kerzen befunden hätten und dass es für einen Adventskranz noch zu früh gewesen sei. Sie war sich ebenfalls sicher gewesen, dass ihr Mann keine Kerze angezündet und dann vergessen hatte, sie auszublasen. »Er gehörte nicht zu den Leuten, die sich Kerzen anzünden«, hatte sie mit Nachdruck gesagt.
Es gab natürlich noch eine andere Variante, und sie war es, die Irene keine Ruhe ließ. Sophie war von der Schule nach Hause gekommen und hatte ihren Stiefvater schlafend vorgefunden. Es war nicht vollkommen unwahrscheinlich, dass er gerade einen Rausch ausschlief. Kaltblütig hätte das Mädchen dann den Brand gelegt und sich anschließend auf den Weg zur Ballettstunde gemacht.
Ein kaltblütiger Mord.
Konnte eine Elfjährige ein solches Verbrechen begehen? Wenn man Irene noch vor einer Woche diese Frage gestellt hätte, hätte sie nachdrücklich mit Nein geantwortet. Nachdem sie Sophie getroffen hatte, war sie sich nicht mehr so sicher.
Weshalb hätte Sophie Magnus Eriksson töten sollen? Laut Angelica waren sie gut miteinander ausgekommen, obwohl Sophie »ist, wie sie ist«. Wahrscheinlich hatte es sich also nicht um einen sonderlich innigen Kontakt gehandelt, aber den hatte Sophie offenbar sowieso zu niemandem außer möglicherweise ihrem Vater. Ernst Malmborg stand als nächster auf der Liste der Leute, mit denen sich Irene noch unterhalten wollte.
Irene öffnete die Tür und stieg aus. Sie nahm die Taschenlampe aus dem Handschuhfach. In wenigen Minuten würde es dunkel sein. Der Schnee knirschte unter ihren Snowboots. Es war kälter geworden. Sie knipste die starke Taschenlampe an und ließ den Lichtkegel über die schneebedeckten Haustrümmer schweifen. Wie erwartet gab es nicht viel zu sehen. Im Schnee waren Spuren von Vögeln und Kleintieren zu erkennen, aber keine Schuh- oder Stiefelabdrücke.
Unweit der Ruine befand sich ein baufälliger Schuppen, der vermutlich nur noch deswegen stand, weil er sich nicht hatte entscheiden können, in welche Richtung er zusammenbrechen sollte. Irene
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