Feuertanz
gewöhnen. Sie hatte durchgesetzt, dass sie höchstens dreimal wöchentlich serviert wurde. An den übrigen Tagen gab es alles Mögliche, und Jenny musste sich ihr eigenes Abendessen zubereiten. Meist machte sie sich einen Rest von den anderen Tagen warm.
»Papa hat angerufen. Er kommt später. Irgendjemand ist wohl krank«, rief Jenny vom Herd.
Die vielen Silberarmreifen klapperten, als sie im Topf rührte.
Zur Zeit trug Jenny kohlrabenschwarzes Haar, und sie kleidete sich hellrot und limonengrün. Es war mehrere Jahre her, dass sie stürmische Diskussionen über Jennys Garderobe geführt hatten. Da sie volljährig war, durfte sie anziehen, was sie wollte. Ihre altmodische Mutter hatte einsehen müssen, dass die Rolle der Sängerin einer Punkband einen gewissen Stil erforderte.
Irene seufzte, als sie an ihren Mann dachte. Der Ärmste. Er musste oft einspringen, wenn einer der anderen Köche krank war. In letzter Zeit hatte er über Müdigkeit geklagt. Das war nicht weiter merkwürdig, da das Glady’s eines der beliebtesten Restaurants Göteborgs war und seinen Stern in dem internationalen Restaurantführer behalten wollte. Das Personal stand unter einem ziemlichen Druck, sowohl von Seiten der Gäste als auch von Seiten des Besitzers.
Als Sammie genug gestreichelt und gehätschelt worden war, ging Irene ins Wohnzimmer. Im Bücherregal fand sie das Max-Franke-Taschenbuch. Sein Name stand in größeren Lettern auf dem Cover als der Titel. Als sie es aus dem Regal zog, fielen ein paar Sandkörner auf den Boden, ein Gruß von Kretas sonnigen Stränden. Auf der Rückseite stand der Name des Verlags, nach dem sie gesucht hatte: Borgstens Förlag AB. Sie schrieb ihn auf einen Zettel und legte diesen in ihre Brieftasche.
Sämtliche Inspektoren erwarteten aufmerksam den Beginn der Morgenbesprechung. Sogar Kommissar Andersson saß schweigend auf einem Stuhl und harrte der Dinge, die kommen würden. Das Erste, was sie beim Betreten des Dezernats an diesem Morgen erfahren hatten, war, dass Yvonne Stridner höchstpersönlich zu erscheinen gedachte. Sie war als Chefin der Gerichtsmedizin bereits legendär. Zweifellos war sie eine Koryphäe auf ihrem Gebiet, sie galt als eine der besten Pathologinnen Europas. Sie selbst hätte wahrscheinlich gesagt, der Welt.
Ein paar Minuten nach dem verabredeten Zeitpunkt war das energische Klappern ihrer Absätze auf dem Gang zu vernehmen, genau das Geräusch, das Irene mit Yvonne Stridner verband. Die Professorin hielt auf der Schwelle inne und ließ ihren Blick über das Auditorium schweifen, ehe sie eintrat. Eingehüllt in eine Wolke teuren Parfüms schritt sie auf das Podium zu, legte ihr Pelzjäckchen ab und schüttelte ihre knallroten Locken. Wie immer war sie modern und elegant gekleidet. An diesem Herbstmorgen trug sie eine dunkelbraune Wildlederhose und einen smaragdgrünen Pullover aus Angorawolle mit einem weiten Rollkragen. Über der linken Brust war eine auffällige Brosche am Rollkragen befestigt. Ein schleichender Leopard besetzt mit geschliffenen roten Steinen, die im Licht der Deckenlampen funkelten. Da es sich um eine Brosche von Yvonne Stridner handelte, waren es wahrscheinlich echte Rubine. Ohne weiteres Zeremoniell ergriff sie das Wort: »Da ich ohnehin heute mit dem Polizeichef sprechen wollte, möchte ich die Gelegenheit ergreifen, Ihnen die Ergebnisse der Obduktion von Sophie Malmborg und der anschließenden Tests darzulegen. So sparen wir Zeit.«
Yvonne Stridner hielt inne und betrachtete ihr Publikum. Unbewusst duckte sich der Kommissar unter dem Blick ihrer scharfen blauen Augen, wofür er sich nicht zu schämen brauchte, denn diese Wirkung übte die Professorin auf die meisten Menschen aus, denen sie begegnete. Nachdem sie sich der Aufmerksamkeit des gesamten Auditoriums vergewissert hatte, fuhr sie fort: »Sophie lebte noch, als das Feuer ausbrach. Die Nasenhöhle und die Lungen sind mit Ruß gefüllt. Einzelne Rußpartikel finden sich auch in den Alveolen. In den Lungenspitzen findet sich jedoch nur wenig Ruß, was auf eine schwache und flache Atmung schließen lässt. Die Todesursache ist Kohlenmonoxidvergiftung. Der Brand war umfassend, aber der Unterkörper ist der vollkommenen Einäscherung entgangen, da er von einem dicken Teppich bedeckt war. Deswegen haben wir einige Proben entnehmen können. Einige Stunden vor ihrem Tod hatte sie eine kleine Mahlzeit zu sich genommen, die aus Tomaten, Brot, Paprika und Oliven bestand. Die Analyse zeigt, dass es sich
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