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Feuertanz

Feuertanz

Titel: Feuertanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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Zustand verbesserte sich etwas, als sie in der späten Pubertät Vegetarierin wurde. Aber es fiel ihr schwer, ausgewogen zu essen, und sie litt an Eisenmangel. Sie weigerte sich, Eisentabletten zu schlucken, und aß nur bestimmte Gerichte. Oft aß sie jeden Tag dasselbe.«
    »Wissen Sie, ob sie immer noch Vegetarierin war?«, fragte Irene.
    »Keine Ahnung, ich habe sie seit damals nicht mehr gesehen, wie gesagt. Das ist jetzt … elf Jahre her.«
    Die Psychologin verstummte. Sie schien nachzudenken und fuhr dann fort: »Gewisse Persönlichkeitsstrukturen waren bei Sophie also bereits in früher Kindheit vorhanden. Nach dem Brand verstärkten sich diese Züge. Sie erfüllte mehrere Kriterien des Aspergersyndroms, einiges passte wiederum nicht dazu. Ihre besondere Begabung war der Tanz. Manchmal tanzte sie für mich, und es war fantastisch, ihr dabei zuzuschauen! Sobald sie sich zu bewegen begann, veränderte sie sich vollständig. Dieses verschlossene Wesen ergab sich der Musik und schien von Innen heraus zu leuchten. Ich kann das nicht anders erklären. Menschen, die am Aspergersyndrom leiden, sind motorisch unbeholfen, was auf Sophie überhaupt nicht zutraf. Vielleicht lässt sich das teilweise dadurch erklären, dass sie so früh mit dem Ballett anfing. Ihre Probleme hingen nicht mit der Motorik zusammen, sondern mit der sozialen Interaktion. Sie wies also Züge des Aspergersyndroms auf, aber nicht das ganze Krankheitsbild. Die Untersuchung an der Klinik für Kinderneuropsychiatrie ergab, dass sie an einer schizoiden Persönlichkeitsstörung litt.«
    »Sie war also psychisch krank?«
    »Nein. Es ist wichtig, dass man die Diagnose schizoide Persönlichkeitsstörung nicht mit Schizophrenie verwechselt. Schizophrenie ist eine ernste psychische Krankheit, bei der der Betroffene den Kontakt zur Wirklichkeit verliert. In gewissen Fällen muss der Patient stationär und medikamentös behandelt werden. Eine Person, die die Kriterien für eine schizoide Persönlichkeitsstörung erfüllt, kann ihr Leben lang ohne Kontakt zum Gesundheitswesen auskommen. Aber Sophies Behinderung verursachte dann doch große Probleme in ihren Beziehungen zu anderen Menschen. Außerdem zeigte sich, dass ihr Vater ähnliche Persönlichkeitszüge aufwies. Diese sind oft erblich. Sophie war sich sehr bewusst, dass sie anders war.«
    »Haben Sie mit ihr über ihre diesbezüglichen Gefühle gesprochen?«
    »Ja, aber nicht oft. Sie redete nur selten. Und wenn, dann nur als Antwort auf direkte Fragen. Sie begann nie spontan zu sprechen. Ich glaube, wie gesagt, dass Sophie durch den Tanz kommunizierte. Aber nur sie selbst verstand, was sie eigentlich meinte. Es war vermutlich kein Zufall, dass sie Choreographin werden wollte. Der Tanz ermöglichte ihr, sich ungehemmt zu äußern.«
    »Hat sie je über das Feuer gesprochen?«
    »Nein. Nie. Darüber schwieg sie.«
    »Hat sie etwas über ihr Verhältnis zu Magnus Eriksson erzählt?«
    »Sie sprach nie über ihre Familie. Das tat sie nur im ersten Jahr. Da sprach sie manchmal von ihrem Bruder. Sie machte sich Sorgen um ihn. Ich glaube, er war ihr einziger Freund.«
    »Erzählte sie, warum sie zu ihrem Vater ziehen wollte?«
    »Nein. Sie sagte nur, dass sie für immer bei ihm bleiben wolle. Das äußerte sie bereits bei unserer ersten Begegnung. Das war überhaupt das Einzige, was sie bei dieser Gelegenheit sagte. Sie wohnte dann die ganze Zeit, die sie bei uns in Behandlung war, bei ihm.«
    »Gab es irgendwelche Anzeichen dafür, dass Magnus Eriksson Sophie missbraucht haben könnte?«
    »Dieser Verdacht lag natürlich nahe, aber es gab nie einen Anhaltspunkt dafür, dass so etwas vorgekommen sein könnte. Aber natürlich hütete sie ein Geheimnis. Etwas, was sie nicht erzählen wollte und worüber sie in all den Jahren, in denen sie bei uns in Behandlung war, kein Wort verlor.«
    »Was geschah mit ihr, als sie nicht mehr bei Ihnen in Behandlung war?«
    Die Psychologin ließ sich mit der Antwort Zeit. Schließlich sagte sie: »Ich hörte, dass Sophie recht gut auf dem Ballettgymnasium zurecht kam und Choreographin werden wollte. Ihre Mutter sagte mehrmals, Sophie sei eine gute Tänzerin, aber viel zu groß und zu schwer. Ich bat sie, das nicht im Beisein von Sophie zu sagen, da das Mädchen an schweren Essstörungen litt. Aber, unter uns gesagt, glaube ich nicht, dass ihre Mutter richtig begriffen hat, wie ernst es war. Die ganze Zeit hatte man das Gefühl, dass Mutter und Tochter keinen Draht zueinander

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