Feuertanz
ein, dass sie einen ähnlich wippenden Haarschmuck am Kinn einiger junger Nachrichtensprecher und Fernsehansager gesehen hatte.
Das bleiche Capoeira-Mädel stellte sich als Lina vor.
»Hat jemand von euch einen Schlüssel, damit wir da reinkommen?«, fragte Irene und deutete auf die Glastür, die auf den Korridor mit den Trainingssälen führte.
»Nein. Marcelo lässt uns kurz vor halb sieben rein, damit wir noch genug Zeit zum Umziehen haben«, antwortete Frej.
»Da kommt er«, sagte Lina und stand auf.
Als hätte man ihn gerufen, tauchte Marcelo jenseits der Glastür auf. Irene war ihm noch nie begegnet, kannte ihn nur dem Namen nach aus der Akte über Sophies Verschwinden.
Er war ungefähr so groß wie Irene, vielleicht sogar ein paar Zentimeter kleiner. Er trug die gleiche Trainingskleidung, die sie schon am Morgen bei den anderen jungen Männern gesehen hatte, weite weiße Hosen und entblößten Oberkörper. Sein Gesicht war fein geschnitten und männlich markant. Es wurde von dunklen Augen mit langen, dichten Wimpern beherrscht. Die wohlgeformten Lippen umspielte ein Lächeln. Sein dunkelbraunes Haar war recht lang. Seine Locken schienen sich kaum bändigen zu lassen. Als er sich der Tür näherte, erinnerten seine Bewegungen Irene an eine geschmeidige Katze – trotz seiner entspannten Haltung beherrschte er jeden einzelnen Muskel.
Sowohl Männer als auch Frauen drehten sich zu ihm um, als er die Tür öffnete. Von einem anderen Tisch erhob sich der Rest der Capoeira-Truppe, dem Irene bereits beim Morgentraining begegnet war.
Irene trat auf Marcelo zu und stellte sich vor. Felipe Medina gesellte sich zu ihnen.
»Ich habe Marcelo gesagt, dass Sie mit ihm sprechen wollen und dass ich dolmetsche«, sagte Felipe.
Marcelo lächelte und nickte zustimmend, ohne etwas zu sagen. Irene fragte sich, wie viel Schwedisch er eigentlich verstand.
Als Frej an ihr vorbeiging, sagte sie: »Hören Sie, ich würde mir gerne noch einmal Sophies Wohnung ansehen.«
»Wieso das? Die Polizei hat sie doch schon mehrmals durchsucht.«
»Ich weiß. Mein Chef will, dass ich sie mir noch einmal ansehe, falls wir etwas übersehen haben sollten. Sind Sie morgen Nachmittag zu Hause?«
Er zögerte und zuckte dann mit den Schultern. »Ich bin so gegen zwei, drei Uhr fertig. Dann wäre ich etwa um halb vier zu Hause.«
»Okay. Dann komme ich um halb vier.«
Frej nickte und verschwand in der Umkleide.
Katarina hatte das Capoeira-Training fasziniert verfolgt. Ebenso wie Irene war sie von der Akrobatik und dem Zusammenspiel der Beteiligten beeindruckt. Als das Training zu Ende war, sagte sie energisch: »Ich will mit Capoeira anfangen.«
»Und was wird aus dem Jiu-Jitsu?«, erwiderte Irene entsetzt.
Katarina seufzte und verdrehte die Augen. »Jiu-Jitsu ist doch dein Ding. Du warst Weltmeisterin, nicht ich. So gut wie du werde ich sowieso nie, und außerdem habe ich Lust, etwas Neues auszuprobieren.«
»Aber ich war doch nie Weltmeisterin, nur Europameisterin«, protestierte Irene lahm.
Sie wusste, dass Katarina Recht hatte. Ihre Tochter hatte sich nie so für das Training begeistern können wie sie im selben Alter. In ihrem letzten Schuljahr hatte Irene so gut wie jeden Tag trainiert. Leider hatte sich das auch in ihren Abiturnoten widergespiegelt, aber das war die andere Seite der Medaille. Im Jahr nach dem Abitur hatte sie die schwedische Meisterschaft gewonnen und zwei Jahre später die Europameisterschaft.
Katarina hatte an der schwedischen Juniorenmeisterschaft teilgenommen und gut abgeschnitten, aber im letzten halben Jahr war ihr die Motivation abhanden gekommen. Vielleicht hatte sie Recht, und es war wirklich an der Zeit, etwas anderes zu beginnen. Irene versuchte die Sache positiv zu sehen, hatte jedoch Mühe, die Enttäuschung hinunterzuschlucken, die ihr wie ein Kloß im Hals saß.
Nach dem Training unterhielt sich Katarina mit Frej und Lina. Irene folgte Marcelo und Felipe.
»Wir duschen eben noch und treffen uns dann in einer Viertelstunde im Trainingssaal. Okay?«, sagte Felipe.
»Okay«, entgegnete Irene.
Sie kehrte in den Saal zurück, in dem es nach Schweiß roch. Die Lüftung an der Decke dröhnte energisch, und die schlechte Luft würde sicher bald verschwunden sein. Um die Wahrheit zu sagen, mochte Irene den Schweißgeruch von Turnhallen. Für sie bedeutete er, dass Leute trainierten und sich fit hielten. Sie war eine sehr körperliche Person, wie ihr Mann zu sagen pflegte. In einer Ecke unterhielt
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