Feuertanz
in erster Linie nicht um Nähe, sondern darum, dass man den anderen mitsamt seiner Interessen in Ruhe ließ.
Angelica profitierte finanziell vom Tod Sophies, besaß aber darüber hinaus kein Motiv. Wo hätte sie Sophie drei Wochen lang verstecken sollen? Und falls sie ein Versteck gehabt hätte, hätte sie ihre Tochter wirklich in den baufälligen Schuppen geschleift und diesen angezündet? Das war wenig wahrscheinlich. Angelica log und war geldgierig, aber Irene fiel es schwer, in ihr eine Mörderin zu sehen. Vielleicht, wenn sie bedroht wurde, aber sie würde wohl kaum ihr eigen Fleisch und Blut umbringen.
Wenn Sophie nicht im Keller gefangen gehalten worden war, wo musste sie dann suchen? Die Antwort auf diese Frage war niederschmetternd: überall. Dann musste sie wohl davon ausgehen, dass der Mörder nicht zu Sophies Bekanntenkreis gehörte und das Versteck somit schwer zu finden sein würde. Die Tatsache, dass Sophie misshandelt und dann betäubt worden war, schien darauf hinzudeuten, dass es sich bei dem Mörder nicht um einen Bekannten von Sophie handelte. Den Kriminalbeamten blieb nur noch die Hoffnung auf eine Spur. Eine Person, ein Kontakt, eine Gelegenheit, vielleicht eine heimliche Beziehung … Irgendwo musste es einen Hinweis auf den Täter geben. Man musste ihn nur finden. Oder sehen. Vielleicht war sie ja bereits auf diese Spur gestoßen, ohne es selber zu merken. Bislang tappte sie im Dunkeln.
Um bei der Wahrheit zu bleiben, so verfügten sie über nichts Konkretes, was die Suche nach Sophies Mörder betraf. Zum ersten Mal überlegte sich Irene nun, ob es vielleicht ein Nachteil war, dass sie auch schon an den Ermittlungen im Brandfall Björkil beteiligt gewesen war. Vielleicht blockierte der alte, ungelöste Fall – und ihr Gefühl, bei der damaligen Ermittlung versagt zu haben –, ihre Möglichkeiten, im Mordfall Sophie klar zu sehen. Aber es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Ermittlungen fortzusetzen. Vielleicht würden sie ja doch noch eine Beute aus ihrem Versteck treiben.
Irene seufzte. Sie hatte das Gefühl, mit ihren Überlegungen nicht weiterzukommen. Sie beschloss, Kommissar Andersson darum zu bitten, bei der Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbefehl zu beantragen. Etwas Besseres fiel ihr im Augenblick nicht ein.
Als Irene am Freitag das Konferenzzimmer zur Morgenbesprechung betrat, merkte sie sofort, dass die Stimmung ungewöhnlich angespannt war. Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Andersson sah sie finster an.
»Du kommst zu spät!«, sagte er barsch.
»Unfall im Gnistängstunnel …«, begann Irene zu erklären.
»Außerdem wirft man dir einen Mordversuch vor!«, fiel ihr der Kommissar ins Wort.
Irene öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder, als ihr klar wurde, was er da gesagt hatte. Sie brachte nur ein halbersticktes »Wie bitte?« zustande.
»Die Krankenschwester des Altersheims, in dem Ingrid Hagberg wohnt, hat hier angerufen. Sie war außer sich! Sie hatte zuerst Frej angerufen und ihm vorgeworfen, seiner Tante Gebäck gegeben zu haben, was er abstritt. Offenbar rief er dann seine Mutter an, und die wusste, dass du gestern in der Wohnung von Ingrid Hagberg warst. Dann haben sie zwei und zwei zusammengezählt und sind draufgekommen, dass du die Alte fast umgebracht hättest!«
»Aber wieso? Wie …?«, stammelte Irene.
»Ingrid Hagberg leidet an Diabetes. Nachdem du sie mit diesem Zuckerkram gefüttert hast, ist sie auf der Intensivstation gelandet. Zuckerkoma!«
Ingrids gieriger Blick zur Tüte mit dem Gebäck. Wie schnell sie die Cremeschnecken und das Himbeergebäck mit zitternden Händen in sich hineingeschoben hatte. Wie ein Alkoholiker auf Entzug, dem man eine Einkaufstüte voller Flaschen schenkt. Irene sah das Bild vor sich und verfluchte ihre eigene Dummheit.
»Mein Gott! Gib mir Kraft und Stärke!«, stöhnte sie.
»Das kannst du wirklich gebrauchen«, erwiderte Andersson trocken.
»Sie hat mir nicht erzählt, dass sie an Diabetes leidet«, meinte Irene, um sich zu rechtfertigen.
»Nein. Nach dem Gehirnschaden fehlt ihr offenbar die Krankheitseinsicht. Die Schwester hat erzählt, dass sie stets sämtliche Zuckerkrümel aus ihrer Wohnung entfernen müssen. All ihre Besucher erhalten die strikte Anweisung, ihr nichts Süßes mitzubringen.«
Andersson holte Luft und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. Sonst war nichts zu hören.
»Damit keinerlei Missverständnisse aufkommen, will ich noch einmal betonen,
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