Feuertanz
schwieg lange und starrte mit leerem Blick auf den alten, verfallenen Schuppen. Dann antwortete sie: »Übermorgen sind es genau fünfzehn Jahre, seit Magnus gestorben ist. Er ist hier draußen auf dem Friedhof von Björlanda begraben. Ich dachte, dass mich Ingrid vielleicht zum Grab begleiten möchte. Vielleicht auch hierher. Um ein paar Blumen niederzulegen. Heute also. Samstag habe ich keine Zeit. Aber sie wollte gar nicht erst mit mir reden. Wir … wir hatten vermutlich immer sehr unterschiedliche Ansichten. Aber ich wünsche mir ein besseres Verhältnis. Schließlich ist sie jetzt alt und krank.«
Plötzlich sah sie Irene mit klaren Augen und einem offenen, bittenden Blick an wie ein kleines Mädchen, das sich wünscht, dass man ihm glaubt. Hätte sie das nicht getan, so hätte ihr Irene die Geschichte vielleicht abgekauft. Aber jetzt war ihr klar, dass Angelica log. Es war im Moment nicht ratsam, nachzuhaken, aber Irene nahm sich vor, die Lüge im Gedächtnis zu behalten.
»Hätten Sie sie nicht einfach anrufen können?«, fragte sie harmlos.
»Das hat keinen Zweck. Ich habe gelegentlich bei ihr angerufen, um mich danach zu erkundigen, ob Frej bei ihr ist, aber da hat sie immer den Hörer auf die Gabel geknallt.«
»Worauf beruht diese Abneigung zwischen Ihnen und Ingrid?«
Angelica lachte, kurz und rau. »Sie hasste mich vom ersten Augenblick an! Das war nichts Persönliches. Sie hätte jede Frau gehasst, die sich ihrem Brüderchen näherte. Er war ihr Ersatzbaby. Diese Gefühle hat sie dann auf Frej übertragen. Glücklicherweise ist er robuster und weiß sie zu nehmen. Das gelang Magnus nie. Er war so schwach.«
Sie hielt inne, und Irene sah, wie sich ihre Augen wieder mit Tränen füllten.
»Fehlt er Ihnen noch?«, fragte Irene spontan, ohne vorher darüber nachzudenken. Wieder dauerte es lange, bis Angelica antwortete.
»Es ist so lange her. Viel ist seither passiert. Und jetzt noch das mit Sophie … das ist sehr schwer und mühsam. Aber schließlich war er Frejs Vater. Außerdem waren wir fast neun Jahre lang verheiratet. Ich verspüre immer noch diese Leere. Ich fühle mich so einsam und … verlassen.«
Irene trat näher an die zusammengesunkene Gestalt auf der Mauer, bevor sie zur wichtigsten Frage ansetzte.
»Was geschah eigentlich an jenem Nachmittag und Abend vor fünfzehn Jahren?«
Tränen liefen Angelica langsam über die Wangen, als sie antwortete: »Niemand weiß es. Vielleicht wusste Sophie etwas … aber ich bezweifle es. Sophie konnte nicht lügen. Sie erzählte mir nicht alles, aber sie log nie. Sie sagte die Wahrheit, als sie mir mitteilte, sie habe nicht gewusst, dass Magnus oben im Schlafzimmer lag, als sie nach Hause kam. Und es brannte nicht, als sie losradelte. Sie sagte, sie hätte keinen Rauch gerochen.«
»Was glauben Sie? Was haben Sie für eine Theorie?«
»Ich bin davon überzeugt, dass Magnus mit einer Zigarette in der Hand einschlief. Er hatte diese Angewohnheit … im Bett zu rauchen. Besonders … besonders wenn er etwas getrunken hatte.«
Jetzt klang ihre Stimme trotzig. In den damaligen Verhören hatte sie nie zugegeben, dass Magnus Alkoholprobleme gehabt hatte. Irene nickte verständnisvoll.
»Warum ließ Ingrid Frej eigentlich dreieinhalb Stunden lang schlafen?«, fragte sie dann leichthin in neutralem Ton.
Angelica zuckte zusammen und erwiderte nervös: »Was hat sie denn selbst dazu gesagt?«
»Ihre Antwort war etwas vage …«
Irene hatte den Eindruck, als entspannte sich Angelica wieder. Ihre Miene wirkte weniger verbissen, und sie lächelte sogar. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und nahm ein Papiertaschentuch aus der Jackentasche. Nachdem sie sich gründlich geschnäuzt hatte, räusperte sie sich und antwortete: »Das hatte mit ihrer Babyfixierung zu tun. Sie sah Frej immer noch als Baby. Er hatte eine Erkältung hinter sich und war deswegen ein wenig mitgenommen. Also packte sie ihn ins Bett und ließ ihn schlafen. Natürlich dachte sie nicht daran, dass ein Achtjähriger tagsüber nicht mehrere Stunden lang schlafen soll!«
»Aber sie hatte doch alle Feuerwehrwagen gesehen und selber Alarm geschlagen. Es handelte sich ja nicht gerade um einen gewöhnlichen Nachmittag.«
»Nein. Wirklich nicht. Aber Ingrid war immer ein wenig seltsam. Ich glaube nicht, dass sie die gleiche Logik wie andere Leute hat. Und jetzt ist sie ohnehin vollkommen plemplem. Jedenfalls behauptet Frej das. Man kann keiner ihrer Äußerungen Glauben
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