Feuertanz
»Okay. Du kannst heute noch diesen neuen Informationen im Sophie-Mord nachgehen. Aber morgen musst du dich dann voll und ganz in diese Sache mit Milans und Robertos Gangs reinhängen!«
Irene sprang auf, hob die Rechte zu einem scherzhaften Pfadfindergruß und sagte feierlich: »Ich verspreche und schwöre …«
»Ach was, verschwinde schon!«, fiel ihr Andersson ins Wort und leerte seinen Becher.
Um kurz darauf mit halb erstickter Stimme fluchend den Mund zu öffnen. Offensichtlich hatte er sich am heißen Kaffee den Mund verbrannt. Seine flatternde Zunge sah recht lächerlich aus, und Irene hielt es für das Beste, rasch die Biege zu machen, bevor er es sich noch anders überlegte. In der Tür blieb sie trotzdem kurz stehen und fragte: »Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«
»Verschwinde!«
Man konnte wirklich nicht behaupten, dass sich Angelica über den Besuch gefreut hätte. Sie unternahm nicht den geringsten Versuch, freundlich zu wirken. Mürrisch ließ sie Irene herein, ohne sie richtig zu begrüßen. Irene wollte sich gerade ihre Schuhe ausziehen, als ihr klar wurde, von wem Sophie ihre Einstellung zum Putzen geerbt hatte. Im schwachen Licht der Deckenlampe sah sie Staub und Straßenschmutz auf dem Fußboden und behielt deswegen ihre Schuhe an.
Angelica trug lederne Tanzschuhe. Der eine hatte ein großes Loch, und ein Nagel mit abgeblättertem roten Lack schaute hervor. Die schwarze Strumpfhose wies mehrere Laufmaschen auf. Ihr langer, gestrickter Pullover war jedoch sehr schön. Er leuchtete in allen Farben des Regenbogens und reichte ein Stück über den Po. Offenbar hatte sie gerade geduscht, denn ihr Haar war tropfnass. Sie bedeutete Irene, durch die Diele zu gehen und im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Dann nahm sie einen Fön aus der kleinen Kommode in der Diele und trocknete sich vor dem Spiegel die Haare.
In der Diele gab es drei Türen. Die eine führte dem Schloss nach ins Bad. Die beiden anderen standen halb offen. Aus reiner Gewohnheit warf Irene im Vorbeigehen einen Blick hinein.
Im Schlafzimmer befand sich ein Doppelbett. Beide Betthälften waren ungemacht. Die alte Tapete war in einem matten Rot-Ton übermalt. Über dem Kopfende hing ein großes Ölgemälde. Ein Paar beim Liebesakt. Auf dem Boden lag ein Flokati, der früher möglicherweise einmal weiß gewesen war. Vor dem Fenster hing weißer Tüll. Irene hatte den Eindruck, dass der Stoff irgendwie um die Gardinenstange geschlungen war. In der Ecke stand so etwas wie ein Stuhl, der vollkommen unter einem Kleiderberg verschwand.
Diskret wandte sie ihren Kopf zur Seite und warf einen Blick in die Küche. Sie war groß und hell, was aber eher von Nachteil war. In dem Licht waren unbarmherzig der Schmutz und die Krümel auf der Spüle und auf dem Herd zu sehen. Die Schränke waren frisch gestrichen, und zwar in einem grellen Orange, das Irene an etwas erinnerte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ihr einfiel, dass ihre Mutter eine Thermoskanne in genau derselben Farbe besessen hatte. Sie hatte sie bei einer Tombola des Roten Kreuzes gewonnen und vom ersten Moment an verabscheut. Im Jahr darauf hatte sie sie dem Weihnachtsbasar gestiftet. Die Dame, die die Kanne im Vorjahr der Tombola geschenkt hatte, hatte sie wieder erkannt und war sehr beleidigt gewesen. Noch jetzt, fünfunddreißig Jahre später, und obwohl sie in derselben Straße wohnten, sprachen die beiden Damen kein Wort mehr miteinander.
Irene blieb auf der Schwelle zum Wohnzimmer stehen. Ihr Gefühl, in die siebziger Jahre zurückversetzt zu sein, nahm zu. Auch hier hatte man direkt auf die Tapete gemalt, dieses Mal fichtengrün. Auf dem Boden lag ein dunkelroter, gewebter Teppich, der wahrscheinlich auch schon einmal heller gewesen war. Der Couchtisch aus Glas war ungewöhnlich niedrig. Das war praktisch, da die Sitzgelegenheiten nur aus einem niedrigen, hellgrünen Diwan und einer dicken Matratze, die direkt auf dem Boden lag, bestanden. Der Diwan war mit einem glänzenden, gemusterten Seidenstoff bezogen und wirkte nagelneu. Auf der Matratze lag ein leuchtend gelber Stoff mit einem dunkelgrünen Pflanzenmuster. Die Rückenkissen waren einfarbig, grün und gelb. Alles passte zueinander, aber Irene wurde fast seekrank.
Sie ging auf die Matratze zu und setzte sich. Wie man auf einem Diwan saß, wusste sie nicht. Vielleicht sollte man ja halb auf ihm liegen? Sie setzte sich gewandt in den Schneidersitz. Sie war es gewohnt, beim Dojo-Training während des Mokuso auf ihren
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