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Feuertochter: Roman (German Edition)

Feuertochter: Roman (German Edition)

Titel: Feuertochter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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ein einziges Grab schaufeln. Darin begruben sie nicht nur den Mann, der in der Nacht gestorben war, sondern auch die amputierten Gliedmaßen. Als sie nach einem kargen Frühstück aufbrachen, mussten zehn Männer getragen werden und fast ebenso viele benötigten jemanden, der sie beim Gehen stützte.
    Ferdinand lehnte jegliche Hilfe ab. »Ich vertraue meinem Stock«, sagte er zu Hufeisen, der sich nicht abweisen lassen wollte. »Kümmere du dich um einen von denen, die es nötiger haben als ich, oder löse unterwegs einen der Träger ab.«
    »Wenn Ihr es so wollt!« Brummend wandte der Söldner sich ab und nahm sofort einen Mann wahr, der seine Hilfe benötigte.
    Ganz so leicht, wie Ferdinand gedacht hatte, kam er jedoch nicht voran. Als er nach etlichen hundert Schritten stehen blieb, um zu verschnaufen, trat Ciara an seine Seite und schob ihm den Arm unter die Schulter.
    »Stützt Euch auf mich!«, forderte sie ihn auf.
    Ihm war, als riefe ihre Nähe neue Kräfte in ihm wach, und er lächelte ihr dankbar zu.
    Unterwegs trafen sie auf keinen einzigen Menschen. Fast schien es, als ging man ihnen mit Vorbedacht aus dem Weg, weil man nicht helfen wollte oder zu viel Angst davor hatte, es zu tun.
    Toal schlug mehrfach vor, in einem der Dörfer, die sie von ihrem Weg aus sahen, Nahrung zu kaufen, doch Ferdinand verbot es ihm: »Das ist in unserer Lage viel zu gefährlich. Wenn du Pech hast, gerätst du an Leute, die sich den Engländern angeschlossen haben, und die bringen dich um.«
    »Es ist unerträglich, dass man sich als Ire vor Iren fürchten muss«, stieß der Junge hervor.
    »Iren sind auch nur Menschen«, antwortete Ferdinand achselzuckend. »Jeder versucht, sich so mit den Gegebenheiten zu arrangieren, wie es ihm am besten dünkt. Sobald Aodh Mór O’Néill seinen nächsten Sieg erringt, werden sie ihm zujubeln. Wird er geschlagen, verkriechen sie sich in ihren Hütten und sagen zu jedem Engländer, der ihnen begegnet, ›Euer Lordschaft‹, als wäre er ein hoher Herr.«
    Ciara musterte Ferdinand nachdenklich. Hielt er wirklich so wenig von ihrem Volk?
    Doch ehe sie nachhaken konnte, sprach er weiter. »Schlachten werden immer nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung geschlagen. Die überwiegende Zahl der Menschen hofft und betet, ungeschoren davonzukommen. Das ist in Irland nicht anders als in meiner Heimat oder in Italien. Darüber zu klagen hieße, die Schöpfung unseres Herrn im Himmel anzuzweifeln.«
    »Ihr zeichnet ein sehr schlechtes Bild von den Menschen«, wandte Ciara ein.
    Ferdinand schüttelte den Kopf. »Kein schlechtes, sondern ein wahres. Weshalb soll ein Leibeigener oder Knecht sein Leben für einen Herrn riskieren, der ihn zu anderen Zeiten mit der Peitsche züchtigt und sich das Recht herausnimmt, sich seines Weibes und seiner Töchter zu bedienen?«
    »Wahrscheinlich ist es so«, antwortete Ciara entmutigt.
    Das Gespräch erlahmte, und die Gruppe schleppte sich schweigend dahin. Sie alle sehnten die Ankunft in Léana herbei, um endlich Ruhe zu finden.
    Obwohl jeder sein Bestes gab, waren alle am Ende ihrer Kraft, als endlich die Mauern der Stadt vor ihnen auftauchten. Ferdinands erster Blick galt dem Bergfried der Burg. Erleichtert sah er, dass noch immer Oisin O’Corras Fahne darüber wehte. Gleich daneben und gewiss nicht kleiner entdeckte er ein Banner mit dem leicht abgeänderten Kirchberg-Wappen, welches Simon für sich verwendete. Es sieht meinem Vetter ähnlich, sich so aufzuspielen, als sei er mit Oisin gleichrangig, dachte Ferdinand, war aber zu müde, um sich darüber aufzuregen.
    Ciara nahm die Anmaßung, mit der Simon von Kirchberg sich als gleichberechtigter Stadtherr von Léana darstellte, nicht einmal wahr, sondern war nur froh, als sie vor dem Tor standen. Doch Simons Wachen dachten nicht daran, ihnen aufzumachen.
    »Was ist los?«, fragte Hufeisen verärgert. »Ihr seht doch, dass wir es sind.«
    Ferdinand trat nach vorne. »He, ihr da! Macht auf! Wir haben Verwundete bei uns, die dringend eines Arztes bedürfen.«
    Er erhielt keine Antwort, hörte aber, dass die Wachen auf dem Turm seinen Namen aussprachen.
    Für einen Augenblick befürchtete er, Simon könnte sich auf die Seite der Engländer geschlagen haben und ihnen den Eintritt in die Stadt verwehren. Er verwarf diesen aberwitzigen Gedanken jedoch sofort wieder. In dem Fall hätte sein Vetter nicht Oisins Fahne auf dem Turm gehisst, sondern das rote Kreuz auf weißem Grund Englands oder Königin Elisabeths Banner.

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