Fey 01: Die Felsenwächter
sie auf der Flucht. Rugar hatte in seinen zahlreichen Schlachten zu viele flüchtende Soldaten gesehen, als daß er sich jetzt womöglich irrte. Hinter den Fey kamen übergewichtige Inselbewohner in schwarzen Roben angewatschelt, die kleine Flakons mit einer klaren Flüssigkeit schwenkten. Einige Fey warfen die Arme um den eigenen Körper, andere fielen schreiend auf die Pflastersteine und wanden sich im Todeskampf. Rugar weigerte sich zu begreifen, was dort vor sich ging. Gestank breitete sich aus … Es roch nach verbranntem Fleisch und nach etwas anderem, noch Beißenderem, ein Geruch, der ihm nicht vertraut war.
Sein Herzschlag verdoppelte sich bei dem Geräusch der hastig flüchtenden Füße. Im Schatten eines verlassenen Ladens blieb er stehen und beobachtete, wie seine mächtige Armee vor diesen unbewaffneten Inselbewohnern, die Glasflaschen mit Wasser schwangen, in die Knie ging. Seine Kehle war trocken; zum ersten Mal erlebte er aus der Perspektive des Opfers, wie Panik mit der Geschwindigkeit eines Buschfeuers von einem zum anderen übersprang.
Caseo tauchte hinter ihm auf. Sein Atem war abgerissen, nicht vor Erschöpfung, sondern vor Furcht. »Sie bringen uns alle um!« stieß er hervor.
»Und wir hindern sie nicht daran«, erwiderte Rugar. Aber er glaubte nicht an seine eigenen Worte. Auch er wollte sich umdrehen und fliehen.
Aber das durfte er nicht. Er mußte ihnen Mut geben, er war die Hoffnung der Fey.
Der Schlamm auf seinem Gesicht war getrocknet und erschwerte ihm das Sprechen. Er wischte die Lehmbrocken ab und schüttelte sie aus dem Haar. Er mußte seine Leute neu sammeln.
»Caseo«, befahl er, »benachrichtige die Truppen drüben am Palast. Wir müssen ihnen mitteilen, was hier vor sich geht. Wenn du das erledigt hast, möchte ich, daß du die Hüter zusammenrufst. Vielleicht findet ihr ein Gegengift für diese Flüssigkeit. Versucht in Erfahrung zu bringen, über welche Zauberkräfte die Inselbewohner verfügen.«
Caseo nickte. Es schien ihn zu beruhigen, daß er eine Aufgabe hatte. Er eilte eine der Seitenstraßen hinunter, und seine hohe Gestalt bewegte sich mit der Energie, die ihn noch vor einem Augenblick völlig verlassen zu haben schien.
»Rusty«, wandte sich Rugar an seinen Leibwächter. Er wußte, daß sie da waren, ohne sich erst nach ihnen umzudrehen. »Benachrichtigt die übrigen Truppen innerhalb und außerhalb der Stadt: Auch sie müssen wissen, was hier vor sich geht.«
»Was ist mit dir?« Links hinter Rugar ertönte Rustys rauhe Stimme.
»Eisenfaust und ich sehen nach, ob die Gefahr wirklich so groß ist, wie Caseo sagt.« Furcht umklammerte Rugars Herz. Sein Vater hatte ihn gewarnt. Aber keiner von beiden hatte erkannt, daß das Entsetzen der Eroberer stärker sein konnte als jedes Entsetzen, das Rugar jemals bei einem seiner Opfer erlebt hatte. Vielleicht lag es daran, daß er es diesmal fast am eigenen Leib erfuhr.
Vor ihm liefen die Fey immer noch wie gehetztes Wild davon, das an nichts anderes mehr denkt als an die Flucht. Ein junger Infanterist stolperte und fiel auf das Kopfsteinpflaster. Der schwarzgekleidete Inselbewohner, der an ihm vorübereilte, schüttete den verbliebenen Inhalt seines Fläschchens auf den Rücken des Gestürzten. Der Junge schrie, die Gesichtszüge wie erstarrt in einer Mischung aus Überraschung und Schmerz. Sein Rücken dampfte, und er wälzte sich hin und her, als wollte er Flammen ersticken. Dann lag er plötzlich still. Auch aus der Ferne konnte Rugar erkennen, daß der Junge tot war.
Rugar wandte sich um. Seine Leute starben, und er mußte sie retten. Und zwar rasch, bevor sich Panik ausbreitete und die Moral untergrub. Alles, was sie brauchten, war ein Mittel, um die Schwarzkittel zu töten. Die Hüter mußten wissen, worauf sie ihre Zauberkräfte konzentrieren sollten. Da er Caseo zum Palast geschickt hatte, mußte er wohl oder übel selbst zur Lagerhalle. Rugar schlüpfte zwischen zwei Gebäuden hindurch und eilte dann die enge Gasse hinunter, die zum Hafen führte.
Dort, in einiger Entfernung zum Kampfgetümmel, wurde der Geruch immer strenger, aber das Geschrei verstummte, nur gelegentlich erinnerten gellende Schmerzensschreie an das entsetzliche Treiben. An einer Kreuzung machte Eisenfaust Anstalten, auf jemanden zuzugehen, aber Rugar erwischte ihn gerade noch am Arm. Er konnte jetzt nicht riskieren, seinen Leibwächter zu verlieren. Außerdem war es besser, die Kampfgefährten nicht zu berühren, solange sie nicht genau
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