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Fey 01: Die Felsenwächter

Fey 01: Die Felsenwächter

Titel: Fey 01: Die Felsenwächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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Sie entschloß sich schließlich, ihm ein paar Wassertropfen von den Blättern zu geben. Erst verschmähte er das Wasser, aber als sie es auf ihre Fingerspitzen tropfen ließ, saugte er gierig daran.
    »Armer Kleiner«, flüsterte sie. Wie plötzlich sich sein Leben verändert hatte. Sie strich mit der Hand über sein zartes Köpfchen und spürte die seidigen Haarsträhnen. Seine Unterlippe bebte, aber er weinte nicht.
    Mit zitternden Händen wickelte Eleanora die Decken wieder fester um den Säugling. Dann legte sie ihn an ihre Schulter, stützte das Köpfchen mit der rechten und seinen Körper mit der linken Hand. Sie hatte ihn jetzt auf alle möglichen Arten getragen, aber mittlerweile schmerzten ihre Arme in jeder Haltung. Sonderbar, keine Erfahrung mit Babys zu haben, wenn man so alt war wie sie.
    Ach, Drew, dachte sie. Ich hätte nie geglaubt, daß ich das noch einmal brauchen würde.
    Langsam erhob sie sich und ging um den Baum herum, um keine Fußspuren auf dem Weg zu hinterlassen. Sie schlug den rechten Pfad ein, der zum Blumenfluß führte, aber sie ging nicht direkt auf dem Weg, sondern ein Stück daneben, hinter der ersten Baumreihe. Äste streiften sie links und rechts, Wasser lief über ihr Gesicht. Sie konnte den Kleinen vor dem Schlimmsten abschirmen, aber als ein Ast gegen seinen kleinen Rücken schlug, begann er zu wimmern. Außerhalb der Sichtweite der großen Eiche ging sein Wimmern in Schluchzen über.
    »Bitte«, flüsterte sie. »Bitte, sei still.«
    Sein Weinen wurde lauter. Er reagierte nicht auf ihre Worte, sondern auf ihre Furcht, die immer größer wurde. Sie war nur eine alte Frau. Sie war nicht besonders stark. Sie wußte nicht mehr, warum sie sich diese Last aufgebürdet hatte. Noch am Morgen hätte sie nichts weiter zu fürchten gehabt als einen langsamen Tod.
    Nachdem sie sich eine Zeitlang zwischen den Bäumen hindurchgeschlängelt hatte, kehrte sie zum Pfad zurück. Über welche magischen Kräfte diese Wesen auch verfügen mochten, an der Weggabelung würden sie ihre Spuren jedenfalls nicht finden. Sie hielt den Kleinen jetzt so, daß sein Gesicht an ihrer Brust lag, um sein Weinen zu dämpfen, ohne ihn dabei zu ersticken. Die Bäume standen nicht mehr so dicht, und sie vernahm das Gurgeln des Flusses. Vielleicht lag die Gabelung gar nicht auf der Hälfte des Weges, vielleicht hatte sie sich getäuscht. Vielleicht war sie schon näher am Ziel, als sie angenommen hatte.
    Sie stolperte über eine Wurzel, und ein jäher Schmerz schoß durch ihr Bein. Der Griff um das Kind lockerte sich, und einen Augenblick lang fürchtete sie, daß sie den Kleinen fallen lassen, auf ihn stürzen und ihn dabei umbringen würde. Aber sie fing ihn rechtzeitig auf, und es gelang ihr, das Gleichgewicht zu halten. Die Schmerzen in ihrem Bein waren jedoch so stark, daß sie anhalten mußte.
    Das Weinen des Kindes war inzwischen in schrilles Kreischen übergegangen. Sie legte den kleinen Burschen wieder an ihre Schulter, klopfte ihm beruhigend auf den Rücken und versuchte ihn zu trösten. Aber er ließ sich nicht trösten. Es war, als wüßte er mit einem Mal, daß er zum Waisenkind geworden war und diesen Tag vielleicht nicht überleben würde. Aber das alles konnte er nicht wissen. Wahrscheinlich spürte er nur die Müdigkeit, die Kälte und die Nässe.
    Vorsichtig versuchte Eleanora, auf dem verletzten Bein aufzutreten. Der heftige Schmerz strahlte vom Spann bis in den Oberschenkel aus, hinderte sie jedoch nicht am Weitergehen. Während der ersten Schritte humpelte sie, dann verfiel sie wieder in ihr früheres Tempo. Sie hatte beschlossen, daß ihr Überleben die Schmerzen bei weitem aufwiegen würde.
    Auf die Bäume folgte Gebüsch, die Dunkelheit des Waldes lichtete sich allmählich. Durch das Blätterdach fielen die ersten Sonnenstrahlen. Aber außer dem Greinen des Kindes war nichts zu hören.
    Mit einem Mal war ihre Kehle wie ausgetrocknet. Und wenn sie sich nun getäuscht hatte? Wenn diese Eindringlinge nicht aus Jahn kamen, sondern von der Küste her? Vielleicht waren alle Menschen zwischen Blumenfluß und dem Meer bereits tot. Noch mehr Leichen, noch mehr Blut. Wenn sie die Augen schloß, sah sie die gehäuteten Körper in den Gärten liegen, sah diese großen schlanken Wesen auf den Schwellen der Häuser stehen und lachen.
    Wenn alle Menschen zwischen Coulters Haus und dem Infrin-Meer umgebracht worden waren, gab es keinen Grund mehr, sich noch länger im Wald zu verstecken. Dann mußten sie und

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