Fey 02: Das Schattenportal
ihrem Arm und fing an zu schluchzen, tiefe, gleichmäßige Schluchzer, als hätte sie ihm das Herz gebrochen. Das paßte ihr nun überhaupt schon gar nicht. Welches Band sie auch immer mit dem Kind verbunden haben mochte, es war beim Durchschreiten des Torkreises zerrissen. Sie hatte ihn hierherbringen sollen, was hiermit erledigt war. Jetzt wünschte sie nichts sehnlicher, als zu ihrem Alltag zurückzukehren.
Mit einem Seufzer ging sie auf das Domizil zu. Dort würde man schon wissen, was mit dem kleinen Burschen anzufangen war. Er packte sie mit einer Hand an der Brustwarze, woraufhin sie sich vor Schmerz auf die Unterlippe biß. Mit der anderen krallte er sich in eine Haarsträhne und zog kräftig daran. Der kleine Racker bestrafte sie dafür, daß sie ihn hierhergebracht hatte.
Vor dem Domizil angekommen, klopfte sie laut an die Tür. Der Griff des Kindes an ihrer Brust wurde fester; dann drehte es die Hand. Sie schluckte einen Schmerzensschrei hinunter. Da niemand auf ihr Klopfen reagierte, stieß sie die Tür auf.
Sie hatte vergessen, daß es die Tür zur Krankenstation war, und erschrak kurz bei dem Anblick der stöhnend in ihren Betten liegenden Fey. Normalerweise starben die Fey, die in der Schlacht verwundet wurden, an Ort und Stelle. Aber sie waren gewöhnt, gegen erfahrene Krieger zu kämpfen. Wahrscheinlich hatten mehr Fey diese Schlachten überlebt, weil die Inselbewohner so unerfahren waren. In dem Zimmer roch es nach Eiter, Schweiß und Urin. Zwei der Männer sahen von ihren Betten zu ihr auf; die anderen stöhnten weiter, als wäre nichts geschehen. Sie schloß die Tür und ließ sich von der Wärme des Hauses umfangen.
Jetzt kam Dello aus dem Hinterzimmer herein. Ihre Kleider waren unordentlich, und ihr langes schwarzes Haar rutschte aus dem zu locker geflochtenen Zopf. Seit der Ankunft auf der Blauen Insel war sie viel dünner geworden. Ihre Wangen waren hager und eingefallen.
»Hast du das Kind gestohlen?« fragte sie mit sanfter, ausdrucksloser Stimme. Kinderdiebstahl war der Fluch erwachsener Gestaltwandler. Da ihre Körper nie lange genug stabil blieben, um ein eigenes Kind auszutragen, stahlen sie fremde Kinder. Oft jedoch stahlen sie die Kinder anderer Fey, nicht der Völker, gegen die sie kämpften. Tierreiter, Fußsoldaten und Wetterkobolde waren diejenigen, die die Kinder der Feinde stahlen.
»Nimm mir bitte diesen Jungen ab«, bat Solanda.
Dello kam auf sie zu und löste vorsichtig des Jungen fest geschlossene Faust, ohne Solandas Brust zu berühren. »Er ist einer von den Inselleuten!« sagte sie erstaunt.
»Ich bin nicht ganz sicher«, antwortete Solanda, zog die andere Hand des Jungen von ihrer Schulter und übergab Dello das Kind. Sofort fing es wieder zu schluchzen an. »Er hat die ganze Nacht nicht geschlafen, und ich hatte auch keine Gelegenheit, ihn zu füttern. Außerdem vermißt er die Frau, die ihn aufgezogen hat.«
»Seine Mutter?«
»Seine Mutter ist tot.«
Dello sah sie mißbilligend an. »Wir können hier keine Kinder unterbringen.«
»Das weiß ich auch«, sagte Solanda. »Dafür haben wir andere Leute. Wir wollen ihn einstweilen in gute Obhut geben, zu einigen Kobolden vielleicht oder sonstjemand, der nicht gleich in der nächsten Schlacht stirbt.«
Einer der Männer richtete sich auf. Er war nicht so schwer verletzt, denn er betrachtete Solandas nackten Körper voller Bewunderung.
Dellos Lippen zogen sich zu einem schmalen Strich zusammen. Sie tätschelte das Kind vorsichtig und tröstete es mit raunenden Worten.
Solanda sah auf ihre Brust hinunter. Sie war gerötet und trug die Spuren der Finger des Jungen. Geschieht mir recht, dachte sie. Wenn sie so glimpflich bei einer Kindesentführung davonkam, hatte sie wohl noch Glück gehabt.
»Kann ich hier irgendwo etwas zu essen und zum Anziehen bekommen? Mir ist kalt.«
»Du solltest dich nicht mit mir unterhalten«, sagte Dello. »Besser, du gehst gleich zu Rugar.«
Solanda verschränkte die Arme. Sie konnte es nicht leiden, wenn sie jemand auf ihre Pflichten aufmerksam machte. Eigentlich hatte sie vorgehabt, diesen kurzen Aufenthalt im Schattenland ohne ein Zusammentreffen mit Rugar hinter sich zu bringen.
»Er will bestimmt mehr über dieses Kind wissen«, sagte Dello, die Solandas Antwort bereits ahnte. »Du kannst ihm ebensogut gleich Bericht erstatten. Besser jedenfalls, als wenn er dir deswegen auflauert, wenn du am wenigsten damit rechnest.«
Damit hatte sie nicht unrecht, denn Rugar konnte
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