Fey 02: Das Schattenportal
ihnen abgegeben. Eigentlich ist es kein Säugling mehr, eher schon ein Kleinkind. Er plappert ein paar Worte und kann auch schon allein laufen.«
Rugar stellte seinen Becher ab. Jetzt hatte sie seine Aufmerksamkeit erregt. »Woher hast du das Kind?«
»Nicht weit vom Blumenfluß. Angeblich haben unsere Soldaten vor einem Jahr seine Eltern getötet, und eine alte Frau hat sich seiner angenommen. Ich nahm ihn mit und brachte ihn her.«
»Was hast du dir nur dabei gedacht?« wollte Rugar wissen. »Was willst du denn mit einem Inselkind? Wenn du unbedingt ein Kind haben willst, hättest du es mir sagen können. Ich glaube, wir hätten das Problem auch lösen können, ohne einen Inselbewohner zu stehlen.«
»Das glaube ich nicht …«, erwiderte Solanda.
»Ich schon. Weißt du, was das bedeutet? Sie werden jetzt noch mehr hinter uns hersein. Jetzt versuchen wir nicht nur, ihre Soldaten zu töten, jetzt sind wir sogar hinter ihren kleinen Kindern her.«
Unbeeindruckt von seinem aufbrausenden Zorn setzte sich Solanda rittlings auf einen Stuhl. »Du solltest mir vertrauen, Rugar.«
»Dir vertrauen? Du hast womöglich den Krieg ausgeweitet, ohne mich zu Rate zu ziehen, und jetzt verlangst du, daß ich dir vertraue?«
»Genau.« Sie beugte sich vor, bis ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von seinem entfernt war. »Genau das verlange ich von dir. Ich habe dir noch nie zuvor ein Kind gebracht, und wenn ich etwas getan habe, ohne dich um Rat zu fragen, dann hat es bis jetzt immer seine Richtigkeit gehabt.«
Rugar wich ein Stück zurück. »Meistens.«
»Diesmal habe ich mich nicht geirrt«, sagte Solanda. »Dieses Kind rief mich. Ich fand das Haus, in dem es gewohnt hatte, bevor seine Eltern getötet wurden, und folgte seiner Spur.«
»Sagtest du nicht, seine Eltern seien vor einem Jahr gestorben?«
Sie nickte.
»Und wie …?« Er unterbrach sich. Sie konnte es am Ausdruck seiner Augen ablesen, daß er die Antwort bereits wußte. »Das ist unmöglich!«
»Es ist passiert«, sagte sie. »Der Junge hat mich gerufen. Nicht bewußt. Ich glaube, er hat eine Spur für seine Eltern hinterlassen, falls sie mit dem Leben davongekommen wären. Nun bin ich ihr gefolgt.«
Er verschränkte die Arme. »Inselbewohner verfügen nicht über Zauberkräfte.«
»Dieser Kleine schon«, widersprach Solanda. »Womöglich ist das der Grund dafür, weshalb ihr Weihwasser überhaupt Wirkung zeigt. Nur sehen sie selbst ihre Macht nicht als Magie an. Sie verbrämen sie mit Religion.«
Rugar schüttelte den Kopf. »Das würden wir wissen.«
»Wir wissen es«, erwiderte Solanda. »Wir wissen es nur zu gut. Unsere Leute sind für dieses Wissen gestorben. Es ist an der Zeit, sich darüber klarzuwerden, daß wir nicht das einzige mit Magie begabte Volk auf der Welt sind.«
»Wenn sie der Zauberkraft fähig wären, würden sie anders leben.«
»Sie leben nicht anders als manche Fey. Nur haben sie die Magie auf ungewöhnliche Weise in ihr Leben eingebunden.«
Rugars Gesicht nahm besorgtere Züge an. »Meiner Meinung nach ist das keine Magie.«
»Du mußt dir nur dieses Kind ansehen«, antwortete Solanda. »Der Junge hat eine zweite Stimme, eine, die ich in meinem Kopf hören kann. Ohne diese Stimme hätte ich ihn niemals gefunden. Und sie ist schon sehr früh entwickelt. Als er die Spur gelegt hat, der ich gefolgt bin, muß er noch in den Windeln gelegen haben.«
»Was sich daraus ergibt, gefällt mir überhaupt nicht«, grunzte Rugar.
»Nur weil es dir nicht gefällt, heißt das noch lange nicht, daß es nicht der Wahrheit entspricht«, erwiderte Solanda. »Ich glaube, du solltest die Hüter des Zaubers darüber informieren, daß sie es hier mit einer neuen Art von Magie zu tun haben und so rasch wie möglich herausfinden müssen, wie wir damit umzugehen haben. Wie wir sie neutralisieren können, vielleicht auf die gleiche Weise, wie wir es mit einem bösen Fey tun.«
»Zuerst sehe ich mir das Kind an«, sagte Rugar.
Solanda zuckte die Achseln. »Wie du willst. Ich esse noch ein bißchen von deinem Brot, und dann versuche ich ein wenig zu schlafen. Wenn du bis zu meinem Erwachen keine Aufgabe für mich gefunden hast, streife ich ein wenig herum und versuche, irgend etwas herauszufinden.«
»Ich dachte, du wolltest dieses Kind haben?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das Kind habe ich dir gebracht. Ich finde, es sollte hier bei uns aufwachsen. Ich finde, etwas so Mächtiges sollte man den Inselbewohnern auf keinen Fall
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