Fey 06: Die Erben der Macht
»Hast du nicht vielmehr jemanden, den ich liebe, zum Tode verurteilt?«
»Sebastian ist kein lebendiges Wesen.«
»Sebastian lebt«, entgegnete Gabe.
»Er ist durch Zauberkraft erschaffen. Er lebt nicht wirklich.«
»Dann erklär mir den Unterschied.« Gabe verschränkte die Arme. »Sebastian denkt. Fühlt. Er ißt, schläft und atmet genau wie wir. Erklär mir den Unterschied.«
»Er hat keine Seele.«
Gabe zuckte überrascht zusammen. Dieses Wort hörte er zum ersten Mal aus Coulters Mund. »Doch, er hat eine Seele. Ich habe sie gesehen und mit ihr gesprochen.«
»Das war nur ein Teil deiner selbst«, widersprach Coulter.
»Es war Sebastian. Öffne die Verbindung.«
»Nein.«
Gabe schluckte und erinnerte sich an den merkwürdigen Schmerz, als er selbst versucht hatte, diese Verbindung zu öffnen. Coulters Blockade traf Gabes Bewußtsein und seinen Körper zugleich. Coulters mächtige Zauberkraft, die Gabe immer als etwas Selbstverständliches hingenommen hatte, hatte sich jetzt gegen ihn gewandt.
»Dann sag mir, wie man es macht«, forderte Gabe. »Ich will eine offene Verbindung zu Sebastian.«
»Du kannst sie nicht öffnen«, entgegnete Coulter. »Ich steuere deine Verbindungen. Das tue ich seit dem Tag, an dem deine Mutter starb.«
Darauf hatte Gabe keine Antwort. Er wußte wirklich nicht, wodurch Coulter ihn am Leben gehalten hatte, er wußte nur, daß Coulter es irgendwie geschafft hatte und daß sie sich seit jenem Tag nahestanden.
»Du willst mir also nicht helfen«, stellte Gabe fest.
»Ich glaube, daß die Verbindung geschlossen bleiben muß. Sonst findet dich der Schwarze König. Ich beschütze dich, Gabe.«
»Das werde ich nicht zulassen«, erwiderte Gabe. »Nicht, wenn Sebastian deswegen sterben muß.«
»Deswegen beschütze ich dich ja«, sagte Coulter. »Ich weiß genau, was für dich am besten ist.«
Das gab den Ausschlag. Gabe hatte genug. Er hatte seine Adoptiveltern, seine Freunde und alles, was ihm vertraut war, verloren. Er war zu Coulter gekommen, um ihn um Hilfe zu bitten, und Coulter hatte ihn von der einzigen Person getrennt, die er noch als seine Familie betrachtete.
»Das kannst du nicht wissen«, entgegnete Gabe.
»In diesem Fall schon.«
Gabe blickte zu Leen hinüber. Sie hatte sich so heftig in die Unterlippe gebissen, daß ihr Blut über das Kinn lief. Gabe wischte es mit dem Daumen ab und strich ihr mit der Hand das Haar aus der Stirn.
»Ich gehe nach Jahn«, sagte er. »Begleitest du mich?«
Sie fuhr sich mit dem Ärmel über die Lippen. Ihre Hand zitterte. Sie hatte noch nie einen solchen Verlust erlitten. »Warum?« fragte sie.
»Weil ich dich an meiner Seite brauche«, erwiderte er.
»Die Fey werden dir nichts tun«, gab sie zurück. »Das dürfen sie nicht.«
Sie versuchte zu lächeln, stöhnte aber, als sich ihre Lippen verzogen. »Ich kann jetzt nirgendwohin mehr gehen.«
»Geh nicht nach Jahn«, warnte Coulter. »Die Fey-Soldaten suchen nach dir.«
»Ich dachte, sie wären auf dem Weg hierher«, entgegnete Gabe.
»Und dorthin.«
Gabe zuckte die Achseln. »Öffne meine Verbindung, und ich tue alles, was du willst.«
»Und wenn nicht?«
»Dann gehe ich nach Jahn und schütze Sebastian allein.«
»Du würdest alles für einen Steinbrocken aufs Spiel setzen?«
»Ich würde alles für Sebastian riskieren«, antwortete Gabe. »Genauso, wie ich alles für dich riskiert hätte.«
»Hätte?«
Gabe nickte. »Hätte.«
Coulter trat einen Schritt zurück. Seine Augen waren weit aufgerissen, und er sah schockiert aus. »Ich habe es für dich getan«, sagte er.
»Nein«, widersprach Gabe. »Du hast es für dich selbst getan. Ich bin alt und stark genug, um über mein eigenes Schicksal zu entscheiden. Ich brauche dich nicht dazu.«
»Was willst du tun, wenn ich die Verbindung nicht öffne?«
»Dann schließe ich unsere«, antwortete Gabe, »und wir sind keine Freunde mehr.«
»Du kannst unsere Verbindung nicht trennen. Du weißt nicht, welche Auswirkungen das hat.« Die Panik in Coulters Stimme war unüberhörbar.
»Ich werde sie schließen, so wie du meine mit Sebastian geschlossen hast.«
Coulter schluckte so heftig, daß sein Adamsapfel auf und ab hüpfte. Für einen Augenblick sah er aus wie der einsame, verlassene Junge, den Gabe von früher kannte. »Ich kann die Verbindung nicht öffnen. Es ist zu gefährlich.«
»Gut«, sagte Gabe. Er zog sich in sich selbst zurück und schlug die letzte Tür zu, die ihn mit Coulter verband. Um sie herum
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