Fey 09: Die roten Klippen
überleben, sondern sogar eine Schlacht gegen diese Fremden gewinnen könnten.
Dann würde sie diese Hoffnung zerschlagen, so restlos, so entschieden, so vernichtend, daß die Überlebenden nicht mehr im Traum daran dachten, sich jemals wieder einem Fey in den Weg zu stellen.
Vorausgesetzt natürlich, es gab überhaupt Überlebende.
Die erste Welle hatte den Stadtrand erreicht. Die Soldaten sahen aus wie kleine Spielzeugfiguren, die im Sand herumkrochen. Sie hieben sich den Weg durch die verdutzten Inselbewohner frei, überall um sie her spritzte und floß Blut.
Von ihrem Aussichtspunkt aus konnte Licia kaum Einzelheiten erkennen, aber das wenige, was sie sah, reichte völlig aus.
Die zweite Welle fächerte sich jetzt um die erste herum aus und drang in die Stadtteile vor, in denen noch nicht gekämpft wurde.
Diese ersten beiden Wellen würden einige Verluste zu verzeichnen haben, aber das machte ihr nichts aus. Die dritte und die vierte Welle standen als Ersatz bereit. Sie würden eingreifen, sobald die ersten beiden Wellen Ermüdungserscheinungen zeigten oder die Inselbewohner begriffen hatten, daß sie um ihr Leben kämpfen und sich entschlossener zur Wehr setzen mußten.
Hatten sie das erst einmal begriffen, würde sich ihre Gegenwehr deutlich verändern. Sie würden mit dem Mut der Verzweiflung zurückschlagen und eher eine Chance auf Erfolg haben. Die Inselbewohner, die weiter in der Stadtmitte wohnten, hatten die Gelegenheit, nach ihren wie auch immer gearteten Waffen zu greifen, und sie würden sie benutzen. Sie würden mit der Kraft des Verteidigers kämpfen, mit der Kraft der Angst und mit dem Bewußtsein, das Recht auf ihrer Seite zu haben.
Und sie würden Licias Armee einen kleinen Kratzer zufügen.
Die dritte und vierte Welle würden diesen Kratzer rasch wieder auspolieren, wenn auch nicht ganz. Die Inselbewohner könnten noch immer glauben, möglicherweise den Sieg davonzutragen.
Bis Licia die fünfte und die sechste Welle losschickte.
Jeder Inselbewohner, der versuchte, die Hügel anzugreifen, würde von Pfeilen niedergestreckt werden. Außerdem hatte sie die Vogelreiter im Einsatz, die sie rechtzeitig warnten.
Die Fußsoldaten im Tal hörten lediglich den Lärm der Schlacht, was ihren Blutdurst noch steigerte, ohne daß sie etwas dagegen tun konnten. Erst dann, wenn die Infanterie ihre Aufgabe erledigt hatte, erhielten die Fußsoldaten die Erlaubnis, ebenfalls einzugreifen und den Rest zu erledigen.
Inzwischen hatte die zweite Welle die Stadt erreicht. Die entsetzten, gellenden Schreie der Inselbewohner drangen bis auf die Hügel herauf. Sie verloren den Kampf. Sie starben.
Nach und nach begriffen sie, daß ihre wunderbaren, erbärmlichen Leben ihr Ende erreicht hatten.
Licia sah zu und wartete.
Sie würde genau den richtigen Moment abwarten und dann die nächste Welle losschicken.
Ihr Plan ging vorbildlich auf. Sie schickte ihre gesamte Streitmacht in die Stadt, in der sämtliche Bewohner abgeschlachtet wurden, und noch bevor die Sonne senkrecht über ihr stand, würde die Stadt ihr gehören.
Sie lächelte.
Sie liebte ihre Arbeit.
24
Fledderers Schlag zielte auf Boteens Kopf. Die Augen des Zaubermeisters weiteten sich, doch dann krümmte sich sein Körper in Richtung Schwert zusammen.
Die Klinge verfehlte seinen Hals nur um wenige Zentimeter.
Fledderer hätte beinahe das Gleichgewicht verloren, fing sich wieder und zog das Schwert wieder fluchend an sich. Boteen war nicht mehr in der Lage, sich aufzurichten. Hinter Fledderer bäumte sich der Pferdereiter immer noch schreiend auf. Offensichtlich hatte Fledderer, als er dem Pferd das Messer in den Bauch bohrte, das Herz nicht getroffen.
Es hätte ihm auffallen müssen, als er das Messer wieder herauszog, so wie das Blut sprudelte. Er hätte noch einmal zustoßen sollen. Es war gar nicht seine Art, das Herz zu verfehlen. Normalerweise kannten sich Rotkappen hervorragend in Anatomie aus. Wahrscheinlich hatte er es verfehlt, weil alles so schnell gehen mußte.
Er vernahm ein Krächzen von oben und sah, wie sich ein Möwenreiter auf ihn stürzte. Er rief noch: »Adrian!«, dann duckte er sich weg.
Adrian war irgendwo hinter ihm und beschäftigte sich wahrscheinlich mit dem Pferdereiter. Fledderer mußte den Kopf gesenkt halten, um die Augen vor dem Schnabel des Federviehs zu schützen. Dafür spürte er, wie er sich in seine Kopfhaut bohrte.
Er fluchte und stach blindlings nach dem Angreifer, erkannte aber sogleich,
Weitere Kostenlose Bücher