Fida (German Edition)
entlang zur Mitte des Raumes. Irgendwo an der Decke, vermutlich an einem Haken, musste die ja befestigt sein. Laura zog an der Kette, riss an ihr, hängte sich mit ihrem ganzen Gewicht daran, doch es gelang ihr nicht, sie zu lösen. Minutenlange Anstrengungen brachten nichts als Verzweiflung. Schließlich gab sie es auf und tastete sich zur Matratze zurück. Zunächst orientierungslos kroch sie in die falsche Richtung, bis sie von ihrer Fesselung aufgehalten wurde. Sie war nie gern im Dunkeln gewesen und hier war es so düster, dass sie wirklich rein gar nichts erkennen konnte. Laura drehte sich um und kroch in die andere Richtung, bis sie von einer Wand aufgehalten wurde. Laura war vollkommen orientierungslos. Panik stieg in ihr auf. Sie kämpfte sie tapfer nieder und tastete sich an der Wand entlang, bis sie ihr Lager wiederfand.
Nach diesem vergeblichen Befreiungsversuch saß Laura zitternd in der Ecke und versuchte, sich zu beruhigen. Sie hatte riesige Angst, bemühte sich aber, nicht durchzudrehen. Der Mann hatte ihr nichts getan. Sicher, er schlug sie, als er sie gefangen nahm. Aber seitdem ließ er sie in Ruhe, versprach ihr ein Frühstück, hatte ihr diesen Eimer hingestellt und ansonsten nicht versucht, sich ihr zu nähern. Bestimmt hatte er es auf Geld abgesehen. Ihre Eltern waren nicht reich. Vielleicht hatte er sie mit einem anderen Kind verwechselt und würde sie laufen lassen, wenn er den Irrtum bemerkte. Oder er versuchte tatsächlich, ihre Eltern zu erpressen. Dieser Gedanke hatte eine beruhigende Wirkung auf sie, denn sie wusste, dass ihre Eltern alles in ihrer Macht Stehende tun würden, um sie hier auszulösen. Bestimmt rief der Entführer in diesem Moment bei ihr zu Hause an, um mit verstellter Stimme die zu bezahlende Summe zu fordern.
„ Mein Handy!“ , schoss es ihr nun durch den Kopf. „ Mama hat gesagt, den Notruf kann man immer wählen, auch wenn das Guthaben alle ist!“ Hoffnung machte sich schlagartig in ihr breit und eilig begann sie, ihre Taschen zu durchsuchen. Es war weg! Im Dunkeln tastete sie umher, bis sie ihre Hello-Kitty-Tasche fand, die sie nun gar nicht mehr blöd fand, sondern wie einen Rettungsring umklammerte. Ein vertrauter Gegenstand, in einer kalten, fremden und bedrohlichen Umgebung. Mit fahrigen Fingern fummelte sie den Verschluss auf. Es konnte doch sein, dass sie das Telefon in die Tasche gepackt hatte, oder? Oder? Sie kramte in der Tasche, obwohl sie sich genau daran erinnerte, wie sie das Handy in der Jeans stecken hatte, Musik hörte und sich den Stöpsel aus dem Ohr zog, als dieser Irre neben ihr auftauchte. Wie konnte sie nur so blöd sein, ihm zu trauen?
Ein kurzer Aufschrei entfuhr ihr, als sie sich mit dem Zirkel, den sie für den Geometrieunterricht dabei hatte, in den Zeigefinger stach. Sie steckte ihn in den Mund, saugte daran. Es schmeckte metallisch, hörte aber schnell auf zu bluten. Vermutlich schwoll der Finger an, denn er pochte höllisch. Ein paar Tränen rollten ihr die Wange hinunter, die sie energisch wegwischte. Laura griff erneut in die Tasche, vorsichtiger diesmal, und holte den Zirkel heraus. Mit einer Faust hielt sie ihn wie eine Waffe umklammert. Sie wusste nicht, wie schwer man jemanden mit einem Zirkel verletzen konnte. Ein Messer wäre bestimmt besser. Aber etwas anderes stand nun mal nicht zur Verfügung. Vielleicht könnte sie ihn zur Verteidigung benutzen, wenn ihr Entführer wiederkehrte.
Laura zitterte immer stärker. Teilweise lag das an der Angst, hauptsächlich aber an dem Umstand, dass es in ihrem Verlies bitterkalt war. Eine Decke konnte sie nicht ertasten. Sie versuchte sich an das Wenige zu erinnern, was sie wahrgenommen hatte, als der Mann mit der Taschenlampe im Keller war. Doch sie förderte keine brauchbare Erinnerung zu Tage. Nur die an den Schemen, den sie in der Dunkelheit hinter dem Licht ausmachen konnte und an den Schmerz, der sich bis in ihr Gehirn bohrte, als auf die Schwärze plötzlich viel zu helles, direkt in ihre Augen fallendes Licht folgte. Etwas, womit sie ihre derzeitige Lage verbessern könnte, fiel ihr nicht ein. Also rückte sie ihre Tasche ans vermutete Kopfende der Matratze, versteckte die Hand mit ihrer Waffe darunter und legte ihren Kopf darauf. Besser als gar kein Kissen. Und allemal besser, als den Kopf auf die muffig riechende Matratze zu legen, die feucht und klamm unter dem kalten, gummiartigen Bezug vor sich hin moderte. Sie rollte sich zusammen, zog ihr Sweatshirt mit über ihre
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