Fieber
seines gestiegenen Lebensstandards verbunden gewesen. Sein Gehalt vom Institut reichte kaum für das Notwendigste, gerade jetzt, da Chuck das erste Jahr zur Universität ging.
Im ersten Stock wechselte er vom Treppenhaus zurück in den Flur und ging hinunter zu seinem Labor. Er brauchte Zeit zum Nachdenken.
3. Kapitel
Jetzt waren sie an der Reihe. Eine Schwester, die aussah, als sei sie aus einem Doris-Day-Film der frühen fünfziger Jahre gefallen, rief Michelles Namen und hielt die Tür zum Sprechzimmer auf. Michelle klammerte sich an die Hand ihrer Stiefmutter, und gemeinsam traten sie ein. Cathryn hätte nicht sagen können, wer von ihnen beiden aufgeregter war.
Dr. Wiley legte ein Krankenblatt aus der Hand und sah ihnen über die Halbgläser seiner Brille hinweg entgegen. Cathryn sah Dr. Wiley heute zum ersten Mal, aber die drei Kinder kannten ihn. Michelle hatte Cathryn erzählt, wie sie vor vier Jahren bei ihm gewesen war, als sie die Windpocken hatte. Sie war gerade acht geworden. Cathryn war sofort von der äußeren Erscheinung Dr. Wileys eingenommen. Er war Ende der Fünfzig und strahlte jene angenehme väterliche Ruhe aus, die man für gewöhnlich mit einem Arzt verbindet. Er war groß, hatte kurzgeschnittene graue Haare und einen buschigen Oberlippenbart. Am Hemdkragen trug er eine schmale handgebundene rote Fliege, die ihm ein ungewöhnliches, aber auch energisches Aussehen gab. Seine Hände waren groß, aber die Bewegung, mit der er das Krankenblatt beiseite legte, war sanft gewesen. Als sie näher getreten waren, beugte er sich leicht vor.
»Schau an, meine kleine Miß Martel«, sagte Dr. Wiley. »Aus dir ist ja eine richtige Frau geworden. Du siehst sehr schön aus, ein bißchen blaß, aber schön. Und jetzt mach mich bitte mit deiner neuen Mutter bekannt.«
»Sie ist nicht meine neue Mutter«, entgegnete Michelle empört. »Sie ist schon über zwei Jahre meine Mutter.«
Cathryn und Dr. Wiley mußten beide über diese Antwort lachen. Und nachdem sie einen Moment gezögert hatte, fiel auch Michelle in das Lachen mit ein, obwohl sie nicht sicher war, ob sie den Witz auch verstanden hatte.
»Setzen Sie sich bitte.« Einladend wies Dr. Wiley auf die Stühle vor seinem Schreibtisch. Als erfahrener Kliniker hatte Dr. Wiley seine Untersuchung bereits in dem Moment begonnen, als Michelle zur Tür hereintrat. Außer ihrer Blässe hatte er auch ihren unsicheren Gang bemerkt, ihre zusammengesunkene Haltung und den glasigen Ausdruck ihrer blauen Augen. Dann öffnete er ihre Krankenakte, die er gerade noch studiert hatte, und nahm sich einen Stift zur Hand. »Also dann, was fehlt denn unserer Patientin?«
Cathryn beschrieb Michelles Symptome, und dann und wann fügte auch Michelle noch etwas hinzu. Cathryn erzählte, daß alles mit niedrigem Fieber und allgemeinem Unwohlseinangefangen hatte. Sie hatten gedacht, daß Michelle nur eine leichte Grippe haben würde, aber das Fieber ging nicht wieder weg. An einigen Tagen fühlte sie sich ganz wohl, an anderen war es wieder schlimmer. Cathryn beendete ihren Bericht mit ihrem Entschluß, daß Michelle am besten einmal gründlich untersucht werden sollte für den Fall, daß sie Antibiotika oder etwas Ähnliches brauchte.
»Sehr schön«, sagte Dr. Wiley. »Und jetzt möchte ich gern einen Moment mit Michelle allein bleiben. Wenn Sie erlauben, Mrs. Martel.« Er kam hinter seinem Schreibtisch hervor und öffnete die Tür zum Wartezimmer.
Ratlos stand Cathryn auf. Sie hatte erwartet, bei Michelle bleiben zu können.
Dr. Wiley lächelte sie warm an, und als ob er ihre Gedanken lesen könnte, fügte er noch beruhigend hinzu: »Sie müssen wissen, daß Michelle und ich alte Freunde sind. Wir werden uns schon vertragen.«
Cathryn kniff Michelle aufmunternd in die Schulter, dann ging sie zur Tür zum Wartezimmer. An der Schwelle blieb sie noch einmal stehen. »Wie lange wird es ungefähr dauern? Reicht die Zeit, daß ich kurz einen Patienten besuchen kann?«
»Ich glaube schon«, antwortete Dr. Wiley. »In ungefähr dreißig Minuten sind wir mit allen fertig.«
»Ich bin rechtzeitig wieder zurück, Michelle«, rief Cathryn. Michelle winkte noch einmal, dann schloß Dr. Wiley die Tür. Nachdem eine Schwester ihr ausführlich den Weg beschrieben hatte, ging Cathryn über die Treppe zurück in die Eingangshalle. Erst als sie in den Fahrstuhl stieg, kehrte ihre alte Furcht vor Krankenhäusern zurück. Wie gebannt starrte sie während der ganzen Fahrt auf ein
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