Fieber
Dunkelheit zurückwich, um so deutlicher konnte Charles das sanfte Profil seiner schlafenden Frau erkennen. Sie lag auf dem Rücken, ihr rechter Arm wie zufällig auf dem Kissen über ihrem Kopf. Sie war zweiunddreißig Jahre alt, doch sie sah viel jünger aus, was anfangs die dreizehn Jahre Altersunterschied zwischen ihnen noch betont hatte. Charles war fünfundvierzig und er mußte zugeben, daß er auch so alt aussah. Cathryn aber sah aus wie fünfundzwanzig. Gestützt auf seinen linken Ellbogen, betrachtete Charles ihre zarten Gesichtszüge. Dann ließ er die Finger seiner rechten Hand an der Linie ihres Haaransatzes über der Stirn entlanggleiten und die weichen braunen Strähnen hinunter zu ihren Schultern. Ihr Gesicht, das im ersten Morgenlicht lag, schien zu strahlen. Charles ließ seine Augen der leicht geschwungenen Linie ihrer Nase folgen, deren Flügel unter Cathryns regelmäßigem Atem sanft erzitterten. Während er seine Frau still bewunderte, spürte Charles tief in sich ein Verlangen erwachen. Er sah hinüber zum Wecker, noch zwanzig Minuten, bevor er klingeln würde. Zufrieden ließ er sich wieder in das kuschelige Laken sinken, dann drängte er sich ganz nahe an seine Frau und wunderte sich selbst, wie gut es ihm doch ging. Er konnte sich sogar auf seine Tage am Institut freuen. In immer schnelleren Schritten ging seine Arbeit voran. Wie ein Stich durchfuhr ihn die Erregung. Was, wenn er, Charles Martel, der Junge aus Teaneck in New Jersey, den ersten erfolgreichen Schritt tun würde bei dem Versuch, das Geheimnis der Krebskrankheit zu lüften? Charles wußte, daß die Möglichkeit dazu immer wahrscheinlicher wurde, und dabei war er nicht einmal als Forschungsmediziner ausgebildet worden. Er war Internist mit dem Spezialgebiet Allergien gewesen, als Elisabeth, seine erste Frau, erkrankt war. Nach ihrem Todhatte er seine gutgehende Praxis aufgegeben und war ans Weinburger-Institut gegangen, um sich ganz der Forschung zu widmen. Es war eine Reaktion auf Elisabeths Tod gewesen. Und obwohl ihn einige Kollegen gewarnt hatten, daß ein Berufswechsel der falsche Weg war, um mit dem Problem fertig zu werden, war er in der neuen Umgebung gut zurechtgekommen.
Als Cathryn spürte, daß ihr Mann bereits wach war, drehte sie sich auf seine Seite und fand sich sofort in einer festen Umarmung wieder. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen, sah Charles ins Gesicht und mußte lachen. Er sah so lausbübisch aus, was gar nicht typisch für ihn war.
»Was geht da vor in deinem kleinen Gehirn?« fragte sie lächelnd.
»Ich hab’ dich nur angeschaut.«
»Wundervoll! Sicher sehe ich jetzt so gut aus wie nur selten.«
»Du siehst einfach atemberaubend aus«, neckte Charles sie und strich ihr das dichte Haar aus der Stirn.
Cathryn war jetzt hellwach und spürte sein drängendes Verlangen. Ihre Hand glitt am Körper ihres Mannes hinunter und stieß gegen sein hartes Glied. »Und was ist das?« fragte sie.
»Dafür übernehme ich keine Verantwortung«, antwortete Charles. »Dieser Teil meines Körpers hat seinen eigenen Willen.«
»Unser polnischer Papst sagt, daß ein Mann nicht mit lüsternen Augen nach seiner Frau sehen soll.«
»Das habe ich auch nicht getan«, antwortete Charles lächelnd. »Ich habe an meine Arbeit gedacht.«
Als die ersten Schneeflocken auf das Giebeldach fielen, fanden sie mit einer so tiefen Leidenschaft und Zärtlichkeit zueinander, die Charles jedesmal aufs neue überwältigte. Dann klingelte der Wecker. Der Tag begann.
Schon von weitem konnte Michelle Cathryn rufen hören, ihr Traum brach ab. Sie hatte mit ihrem Vater ein Feld überquert. Michelle versuchte, die Stimme zu überhören, aber sie kam wieder. Dann fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter, und als sie sich herumdrehte, sah sie in Cathryns lächelndes Gesicht. »Zeit zum Aufstehen«, sagte die Stiefmutter freundlich.
Michelle atmete tief ein und nickte zum Zeichen, daß sie wach war. Sie hatte eine schlechte Nacht hinter sich, so voller beängstigender Träume, daß sie schweißgebadet war. Unter der Decke war ihr heiß gewesen, aber wenn sie sich von ihr befreite, hatte sie gefroren. Mehrmals hatte sie in der Nacht daran gedacht, zu ihrem Vater zu gehen. Und sie hätte es auch getan, wenn er allein gewesen wäre.
»Mein Gott, du siehst ja ganz erhitzt aus«, sagte Cathryn, als sie die Vorhänge zurückgezogen hatte. Sie beugte sich über Michelles Bett und legte ihr die Hand auf die Stirn. Sie war heiß.
»Ich glaube,
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