Fieber
Charles.
»Da haben wir genug von. Es kommt in Vierhundert-Liter-Fässern.«
»Und was machen Sie damit, wenn Sie es gebraucht haben?«
»Sie meinen, wenn es durch die Anlage gegangen ist? Kommen Sie mit. Ich zeig’ es Ihnen.«
Der Mann lehnte den Transportkarren an den Drahtkäfig und rührte Charles quer durch die Haupthalle, zwischen zwei Druckkochern hindurch, die eine unerträgliche Hitze abstrahlten. Sie duckten sich unter Rohre hindurch und gelangten in einen Flur, der zu einem Aufenthaltsraum führte, wo der Lärm nicht ganz so groß war. Der Raum war mit zwei billigen Resopaltischen und Stühlen möbliert, an der Wand standen ein Wasserspender und ein Zigarettenautomat. Zwischen dem Wasserspender und dem Zigarettenautomat war ein Fenster. Dahin führte der Mann Charles und zeigte hinaus. »Sehen Sie die Tanks da draußen?«
Charles legte die Hände um die Augen, um das Licht abzuschirmen, und starrte hinaus. Ungefähr fünfzehn Meter entfernt, fast schon am Flußufer, standen zwei zylinderförmige Tanks. Obwohl der Mond sehr hell schien, konnte er keine Einzelheiten erkennen.
»Gelangt irgend etwas von dem Benzol in den Fluß?« fragte Charles. Er drehte sich wieder zu dem Mann um.
»Das meiste wird Gott weiß wohin gefahren. Aber Sie wissen doch selbst, wie wenig man sich auf diese Firmen zur Giftmüllbeseitigung verlassen kann. Wenn die Tanks am Überlaufen sind, leiten wir einen Teil in den Fluß. Das geht völlig problemlos. Wir machen das nur nachts, und das Zeug wird sofortweggespült. Bis in den Ozean. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen …« Der Mann beugte sich zu Charles, als ob er ihm ein Geheimnis anvertrauen wollte. »Ich glaube, daß die gottverdammte Giftmüllfirma das Zeug auch in den Fluß schüttet. Und das lassen sie sich auch noch teuer bezahlen.«
Charles preßte die Zähne aufeinander. Er sah Michelle in ihrem Krankenbett liegen und den Infusionsschlauch, der zu ihrem Arm hinunterlief.
»Wo ist der verantwortliche Leiter?« fragte Charles, ohne seinen Zorn noch länger zu verbergen.
»Verantwortliche Leiter?« fragte der Arbeiter. Er sah Charles neugierig an.
»Vorarbeiter, Aufseher, irgend jemand muß hier ja die Verantwortung haben«, schnauzte Charles ihn an.
»Zu unserem Aufseher wollen Sie«, sagte der Arbeiter. »Das ist Nat Archer. Der ist in seinem Büro.«
»Zeigen Sie mir, wo das ist«, befahl Charles.
Der Arbeiter musterte ihn mit fragendem Blick. Dann drehte er sich um und ging zurück in die Betriebshalle. Dort zeigte er auf eine Glastür am Ende eines Laufstegs im ersten Stock. »Da oben«, sagte er knapp.
Charles achtete nicht mehr auf den Arbeiter, sondern lief zu der Eisentreppe, die zu dem Laufgang führte. Der Arbeiter sah ihm kurz nach, dann wandte er sich um und nahm den Hörer vom Haustelefon ab.
Vor dem Büro zögerte Charles einen Augenblick, dann drückte er die Türklinke herunter. Die Tür schwang auf, und er trat in das Zimmer. Das Büro war wie ein schallgedämpftes Krähennest. Von seinen Fenstern aus konnte man die gesamte Anlage überblicken. Als Charles die Tür hinter sich schloß, drehte Nat Archer sich in seinem Stuhl herum und stand lächelnd auf. Sein Gesicht zeigte erstaunte Verwirrung.
Charles wollte gerade losbrüllen, doch zu seiner Überraschung stellte er fest, daß er den Mann kannte. Er war der Vater von Steve Archer, einem guten Freund von Jean Paul. Die Archers waren eine der wenigen schwarzen Familien in Shaftesbury.
»Charles Martel!« rief Nat und streckte ihm die Hand entgegen. »Sie hätte ich jetzt als Letzten hier erwartet.« Nat war einfreundlicher, mitteilsamer Mann mit langsamen, beherrschten Bewegungen wie ein ehemaliger Athlet.
Völlig verwirrt, weil er jemandem gegenüberstand, den er kannte, stammelte Charles, daß sein Besuch keinen angenehmen Anlaß hätte.
»Na schön«, sagte Nat und faßte Charles aufmerksamer ins Auge. »Warum setzen Sie sich nicht?«
»Ich stehe lieber«, entgegnete Charles. »Ich möchte wissen, wem die Recycle Ltd. gehört.«
Nat zögerte. Als er schließlich antwortete, klang seine Stimme vorsichtig.
»Die Muttergesellschaft ist Breur Chemicals, New Jersey. Warum fragen Sie?«
»Wer ist hier der verantwortliche Leiter?«
»Harold Dawson, er wohnt in der Covered Bridge Road. Ich glaube, Sie sollten mir erzählen, worum es eigentlich geht, Charles. Vielleicht kann ich Ihnen einigen Ärger ersparen.«
Charles sah den Aufseher prüfend an, der seine Arme vor der Brust verschränkt
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