Fieses Karma
Armbänder aussuchen.«
»Au ja!«, sage ich ohne zu zögern, doch dann fällt mir wieder ein, dass ich mich gerade bereit erklärt habe, heute Nachmittag einem Schüler Nachhilfe zu geben. Ich lasse die Schultern hängen. »Ach Mist. Ich kann nicht. Ich muss eine Nachhilfestunde geben.«
Jades Gesicht erhellt sich. »Seths kleiner Bruder?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein, den hab ich erst am Mittwoch.Aber die Nachhilfe heute dürfte nur eine Stunde dauern. Ich kann mich hinterher mit euch treffen.«
Wir verabreden, uns um Viertel nach vier in einem angesagten Hippie-Schmuckladen auf der Main Street zu treffen. Dann gehen wir in unsere Klassenzimmer, denn gleich fängt die fünfte Stunde an.
Nach der Schule bereue ich natürlich meine Entscheidung, noch einen weiteren Nachhilfeschüler zu betreuen. Obwohl, eigentlich war es keine richtige Entscheidung. Zumindest keine bewusste. Es war eher der verzweifelte Versuch zu vertuschen, dass ich Mr Wilson nicht zugehört habe. Meine Mutter würde jetzt wahrscheinlich sagen, damit allein hätte ich schon eine Entscheidung getroffen, also da habt ihr es.
Eigentlich will ich meine Sitzung mit dem neuen Nachhilfeschüler absagen und stattdessen mit meinen Freundinnen zusammen sein, damit wir an unseren erfolgreichen Plänen weiterarbeiten können. Es ist erstaunlich, wie viel Energie man aus einem einzigen Sieg schöpfen kann und wie er einen inspiriert weiterzumachen. Nach der Neuigkeit über Ryan würde ich mein Leben am liebsten nur noch meiner neuen Aufgabe widmen: für jeden auf der Welt, der es verdient, das Karma ins Gleichgewicht zu bringen. Dann wäre ich wie Mutter Teresa oder so jemand. Um den Globus reisen und Menschen in Not helfen. All den Opfern der Heather Campbells und Mason Brooks’ dieser Welt.
Natürlich schwänze ich meine Nachhilfestunde nicht. Gute Tutorin, die ich nun mal bin, gehe ich hin. Denn ich glaube, dass Leute, die sich für Nachhilfeunterricht eintragen, wirklich auch Hilfe brauchen. Es ist nur eine andere Art von Hilfe. Und wenn ich sie vernachlässige, bin ich genauso mies wie Ryan Feldman oder Seth Taylor.
Ich stopfe meine Schulbücher in den Rucksack, schließe denSpind und mache mich auf den Weg in die Bücherei. Dort sehe ich mich nach jemandem um, der wie ein Schüler mit schlechten Französischnoten aussieht, doch es ist niemand da. Also setze ich mich an einen Tisch in der Nähe der Tür und warte.
Nach fünf Minuten bin ich kurz davor, aufzugeben und meinen Freunden zu sagen, dass sie mich schon früher vor dem Schmuckladen treffen sollen. Da höre ich, wie mich jemand anspricht. »Maddy?«
Ich sehe hoch – und erblicke ausgerechnet Spencer Cooper, der auf mich zukommt.
Nicht schon wieder der. Was zum Teufel macht er hier?
»Ja?«, frage ich und versuche, nonchalant zu klingen.
Natürlich bin ich nonchalant. Warum sollte ich auch chalant sein? Schließlich ist mir egal, was Spencer Cooper über mich denkt.
»Hi, sorry für die Verspätung.«
Moment mal. Wie bitte?
»Wieso Verspätung?«, frage ich, als hätte ich keine Ahnung, worauf er sich bezieht. Und ich hoffe ernsthaft, dass ich es nicht ahne.
»Unsere Nachhilfestunde«, sagt Spencer gerade heraus und meiner Meinung nach schon fast rüde, während er seinen Rucksack auf einen Stuhl fallen lässt und mir gegenüber Platz nimmt.
Nein, nein. Ich habe mich nicht bereit erklärt, Spencer Cooper, dem reichsten, eingebildetsten Typen an der ganzen Schule, Nachhilfe zu geben. Auf keinen Fall.
Aber in Wahrheit habe ich mich doch bereit erklärt, Spencer Cooper zu unterrichten. Ich hatte nur leider keine Ahnung, dass es sich um Spencer Cooper handelt. Und hätte ich es gewusst, dann hätte ich wahrscheinlich eine Ausrede gefunden.
» Du bist der Schüler, der Probleme mit Französisch hat?«, erkundige ich mich, immer noch nicht bereit, mein Schicksal hinzunehmen.
Er nickt verlegen. »Leider muss ich das mit oui beantworten. Irgendwie bekomme ich den Konjunktiv und überhaupt die Zeiten nicht auf die Reihe.«
Also das hier wird absolut nicht funktionieren. Ich kann ihm keine Nachhilfe geben. Ich will nicht jede Woche eine Stunde lang an das erinnert werden, was in seinem Horrorapartment passiert ist. Nicht, während ich alles in meiner Macht Stehende tue, um es aus meinem Gedächtnis zu löschen. Oder es wenigstens zu rächen. Was immer in den Nachhilfestunden geschieht – Spencer wird es mit Sicherheit Jenna weitererzählen, die es garantiert Heather erzählen
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