Fieses Karma
Mädchen, die aus der Toilette kommen. Eines von ihnen sagt im Vorbeigehen: »O Gott, ist das ekelig. Ich meine, wenn man schon Bulimie hat und alles wieder rausspuckt, dann doch nicht ausgerechnet in der Schule, wo einen alle hören können!«
Sofort ist mir klar, dass Jade dadrin ist.
Ich renne in die Mädchentoilette und schaue prüfend durch den Spalt unter der Tür in jede Klokabine. In der letzten, die zufälligerweise dieselbe Kabine ist, in der ich die Nachricht über das Graffito auf Jennas Spind mitbekommen habe, kann ich Jades Rücken erkennen. Sie kniet vor der Kloschüssel auf dem Boden. Und sie übergibt sich.
Komisch, ich hätte Jade nie für die Art von Mädchen gehalten, die Lampenfieber bekommen. Sie wirkt auf der Bühne immer so locker und selbstbewusst. Als wäre sie dafür geboren.
»Jade?«, frage ich und klopfe sanft an die Kabinentür.
»Maddy? Bist du das?«, ruft sie von der anderen Seite. Sie klingt, als würde sie schon ewig darauf warten, dass ich sie hier finde.
Ich höre ein dumpfes Scharren. Dann wird die Tür aufgeschlossen. Ich drücke sie auf, gehe hinein und schließe sie hinter mir ab. Jetzt sitzt Jade auf dem Boden, die Knie bis zum Kinn angewinkelt. Ehrlich gesagt, sieht sie schrecklich aus. Aber das behalte ich für mich. Das Schlimmste, das man jemandem sagen kann, der sich elend fühlt, ist, dass er elend aussieht. Also sage ich stattdessen: »Was ist denn los? Bist du nervös?«
Jade schüttelt den Kopf, und ich sehe Schweißperlen auf ihrer Stirn. »Nein. Ich weiß nicht, was los ist. In der siebten Stunde wurde mir plötzlich schlecht. Deshalb habe ich mich entschuldigen lassen, bin aufs Klo gerannt und musste mich übergeben. Seitdem bin ich hier.«
Als ich auf den Boden blicke, sehe ich Mr McCauleys berühmten Flurpass, der tatsächlich die Form eines Klositzes hat. Wer immer den Lehrern erlaubt, bei der Auswahl der Flurpässe ihre Kreativität unter Beweis zu stellen, sollte bestraft werden.
»War es etwas, das du gegessen hast?«, frage ich, während ich neben ihr in die Hocke gehe und ihr die feuchten Haarsträhnen aus der Stirn streiche.
Sie überlegt. »Das könnte schon sein. So schlecht war mir noch nie.«
»Vielleicht war es Sabotage. Vielleicht hat dich eine der anderen, die für die Hauptrolle vorspricht, vergiftet!« Mir schwirren die wildesten Verschwörungstheorien durch den Kopf.
Jade schüttelt den Kopf. »Das glaube ich nicht. Schließlich hat mir niemand was zu essen gegeben. Ich habe nur wie immer in der Cafeteria das Puten-Chili bestellt.«
Als sie sich selbst das Wort Puten-Chili sagen hört, werden ihre Augen ganz groß. Sie hält sich die Hand vor den Mund und beugt sich wieder über die Kloschüssel. Ich sehe weg – nicht unbedingt, um ihr ihre Privatsphäre zu lassen, sondern eher, um nicht selbst in der Nachbarkabine an ihrer Kotzparty teilzunehmen.
In der zehnten Klasse hatte ich mal eine Lebensmittelvergiftung. Daher weiß ich aus Erfahrung, dass der Gedanke an das, was einen krank gemacht hat, einen neuen Übelkeitsanfall auslöst. Also liegt es eindeutig am Puten-Chili. Aber warum sollte jemand das Chili vergiften? Vielleicht war es auch gar nicht vergiftet. Vielleicht ist das Chili von heute aus verdorbenem Fleisch gekocht. Bei den unappetitlichen Zuständen in der Schulküche würde mich das nicht wundern. Es überrascht mich eher, dass Jade es überhaupt riskiert, das Zeug zu essen, das in der Cafeteria serviert wird.
Sie zieht sich wieder die Knie bis unters Kinn und legt die Stirn darauf. Sie sieht aus, als könnte sie jeden Augenblick zusammenbrechen, und ich frage mich, ob ich einen Krankenwagen rufen soll. »Ist dir an dem … äh … dem … du weißt schon was, irgendwas Ungewöhnliches aufgefallen?«, frage ich vorsichtig und bemühe mich, das Wort »Chili« nicht auszusprechen.
Jade schüttelt den Kopf. »Nein, es sah aus, als wäre es in Ordnung. Aber schließlich untersuche ich mein Essen nicht so genau.«
Ich suche nach einer anderen möglichen Erklärung.
»In der Cafeteria hat heute eine Neue gearbeitet«, fällt Jade ein. »Aber ich glaube nicht, dass das irgendwas damit zu tun hat.«
»Man kann nie wissen. Wenn sie neu ist, weiß sie womöglich nicht, wie man das Essen richtig zubereitet. Vielleicht hat sie es unabsichtlich verdorben.«
Jade steigen Tränen in die Augen. Und mir ist klar, dass sie nicht um das Chili weint.
»Kannst du vielleicht doch noch vorsprechen?«, frage ich hoffnungsvoll. »Wenn
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