Fieses Karma
lassen, die wirklich von Bedeutung ist. Also muss ich nachdenken. Was kann ich für einen anderen tun, das er selbst nicht tun kann? Was habe ich der Welt zu bieten, das einzigartig ist und tatsächlich etwas bewirkt?
Also mache ich eine Inventur meiner Fähigkeiten.
Ich habe einen schnellen Stoffwechsel. Okay, das zählt wohl nicht wirklich als eine Fähigkeit, weil ich es nicht üben muss. Außerdem bin ich nicht sicher, inwiefern die Geschwindigkeit meiner Verdauung anderen helfen könnte. Also weiter …
Ich kann gut küssen. Jedenfalls haben Mason und Spencer mir das gesagt. Aber auch das eignet sich wahrscheinlich nicht, es sei denn, ich organisiere eine Spendenaktion mit Knutschbude und riskiere, mir pfeiffersches Drüsenfieber, Herpes oder Schlimmeres zuzuziehen.
Ich zaubere einen hervorragenden Kartoffelbrei aus der Tüte. Ja, ich weiß: Wie schwer ist es, die Anleitung zu befolgen, Butter und Milch hinzuzufügen? Aber vielleicht könnte ich Kartoffelbrei für Obdachlose oder so machen. Denen ist es doch sicher egal, ob er aus der Tüte kommt, oder? Okay, ich brauche weitere Optionen.
Ich bin intelligent und habe gute Noten. Schließlich arbeite ich deswegen als Tutorin für die Schülerberatung, weil ich laut Mr Wilson nicht nur gute Noten schreibe, sondern echt gut darin bin, anderen den Stoff so verständlich zu erklären, dass auch sie gute Noten bekommen.
Auf Anhieb wird mir klar, dass das meine Lösung ist. Die Nachhilfe. Das ist etwas, in dem ich gut bin, und es ist etwas, das anderen hilft. Viele Leute brauchen Nachhilfe in allen möglichen Fächern. Hey, Mason Brooks’ Eltern haben diesem Nachhilfezentrum Unsummen bezahlt, um seine Testergebnisse zu verbessern, und wir wissen ja, was daraus geworden ist. Aber was ist, wenn Schüler es sich nicht leisten können, einen Nachhilfelehrer zu bezahlen, um ihnen bei den Prüfungsvorbereitungen zu helfen oder ihre Mathenote zu verbessern oder ihnen den Unterschied zwischen dem passé composé und dem imparfait französischer Verben zu erklären? Das heißt doch nicht, dass sie die Hilfe dann nicht bekommen sollten, oder?
Als Erstes gehe ich am Montagmorgen ins Beratungszentrum und setze mich in Mr Wilsons Büro, um ihm meinen Vorschlag zu unterbreiten: ein ehrenamtliches Tutorenprogramm an Highschools in weniger privilegierten Gegenden. Kostenlose Nachhilfe entweder in Einzelstunden oder in Gruppen für Schüler, die bei ihren Hausaufgaben Extrahilfe brauchen, sich aber keinen Nachhilfelehrer leisten können.
Meine Idee haut ihn regelrecht vom Hocker, was mich natürlich noch mehr anspornt. Dann bietet er mir an, für die Umsetzung dieser Idee die Mittel des Beraterzentrums zu nutzen.
Also mache ich mich an die Arbeit. Ich entwerfe einen Flyer, in dem ich die anderen Schüler, die schon Nachhilfe erteilen, über das Programm informiere und sie bitte, ihren Namen einzutragen, wenn sie mitmachen möchten. Mr Wilson verspricht sogar, den Vorschlag bei der nächsten Lehrerkonferenz zu erwähnen und zu fragen, ob die Schulverwaltung bereit ist, als zusätzlichen Anreiz den ehrenamtlichen Tutoren Extrapunkte in den Fächern anzubieten, in denen sie Nachhilfe geben.
Am Dienstagnachmittag hilft Spencer mir dabei, ein paar Schulen in den ärmeren Stadtteilen anzurufen und sie zu fragen, ob sie an so einem Programm Interesse hätten. Jeder einzelne Schulberater, mit dem wir sprechen, ist von der Idee absolut begeistert.
Wir sagen ihnen, dass wir uns wieder bei ihnen melden, sobald wir ein paar Freiwillige gefunden haben. Dann können wir den Stundenplan und alles Weitere besprechen.
»Wow«, sage ich zu Spencer, nachdem ich aufgelegt habe. »Ich kann gar nicht glauben, wie gut die Resonanz ist.«
»Das heißt nur, dass deine Idee gut ist«, meint er.
»Ich hoffe bloß, dass sich genügend Schüler melden. Es wirdeine ziemliche Sackgasse, wenn keiner umsonst Nachhilfe geben will.«
»Das werden sie schon«, versichert Spencer mir. »Ich glaube, die meisten Leute wollen das Richtige tun, wenn man ihnen nur genügend Möglichkeiten dazu gibt. Und du machst es ihnen leicht. Du hältst es ihnen regelrecht vor Augen.«
»Hoffentlich hast du recht.«
Spencer zieht mich an sich. »Klar hab ich recht.«
Dann küsst er mich unendlich zärtlich, und ich bin nicht sicher, ob es das Gefühl seiner Lippen auf meinen ist (das mir von Anfang an weiche Knie gemacht hat) oder ob es das Glücksgefühl ist, das bei dem Gedanken, etwas für andere zu tun (das ihnen
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