Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
war weniger defensiv als resigniert.
»Das muss man den Franzosen lassen: Sie haben den beschissensten Drachen von allen«, seufzte Aschmodai.
Als die Tarasque erkannte, dass sie nicht angegriffen wurde, fing sie an zu reden. Sie hörte gar nicht mehr auf! Dieses Geschöpf brauchte kein umherstreifendes Einsatzkommando von Folklore-Zauberern, sondern einen Therapeuten. Die ganze Nacht saßen Aschmodai und ihre Truppe auf Baumstümpfen und hörten es lamentieren, wie einsam es sei und dass ihm Feuchtigkeit fehle. Erst im Morgengrauen tapste es wieder zurück in seinen Unterschlupf.
Doch die Tarasque hatte ihnen tatsächlich zu einem Fortschritt verholfen. Sie war eine 1 -a-Heulsuse, und als sie fragten, vor wem die magischen Wesen in dieser Gegend Angst hätten, nannte sie ihnen eine ganze Reihe von Kandidaten, da sie sich praktisch vor jedem fürchtete. Zur Abwechslung wurden sie einmal verwöhnt. Die Tarasque war zu groß für das kleine Kroppzeug, aber aus ihrem Gejammer ging hervor, dass sie der Fußabtreter für die oberen Ränge der mythologischen Gesellschaft war. Offenbar ärgerte Reineke Fuchs sie oft, wobei sie die Zauberer bat, ihm das bloß nicht zu verraten, aus Angst vor Repressalien. Interessanter noch war, dass sie anscheinend regelmäßig von einer Art heiligem Mann verprügelt wurde, der die Hänge des Mont Ventoux seit etwa tausend Jahren heimsuchte.
Es liege nur an ihrem furchterregenden Aussehen, dass sie so oft falsch eingeschätzt würde, klagte die Tarasque. Ein Wesen von solch grimmiger Pracht würde oft für böse gehalten, und wenn man es peitschte und schmähte, könne sie auch schon mal sechs oder sogar sieben Dorfbewohner verschlingen! Deswegen habe sie sich in die Salzsümpfe der Camargue zurückgezogen, wo sie nur hin und wieder ein Wildpferd futtere, um am Leben zu bleiben. Ob sie nicht Lust hätten, sich ihr anzuschließen? Hier sei es kühl und sicher. Und es sei so selten, jemand Nettes zum Reden zu finden! Sie seien so viel freundlicher als dieser garstige Heilige.
Als sie noch vor Sonnenaufgang über die Autobahnen fuhren und die verklebten Augen über den flachen Sumpf schweifen ließen, waren sich alle einig, dass der heilige Eremit tatsächlich ein übler Geselle zu sein schien. Genauso einer, wie sie ihn unbedingt einmal näher kennenlernen sollten.
In dem Haus in Murs herrschte eine veränderte Atmosphäre. Sie hatten stets nach dem Grundsatz gelebt, dass Luxus und Komfort integrale Bestandteile magischer Lebensart seien, nicht nur um ihrer selbst willen, sondern schon aus Prinzip. Als Magier – Murs-Magier! – bildeten sie die geheime Aristokratie der Welt, und so wollten sie verdammt nochmal auch leben.
Aber das änderte sich jetzt. Niemand verlor ein Wort darüber, und Pouncy wäre es nicht den Sinn gekommen, etwas Derartiges anzuordnen, aber sie lebten auf einmal spartanischer. Die ernste Natur ihrer Recherchen kühlte und dämpfte ihre kollektive Laune. Zum Abendessen wurde weniger Wein konsumiert, manchmal überhaupt keiner. Das Essen wurde einfacher. Gespräche wurden leise geführt wie in den Fluren eines Klosters. Ernsthaftigkeit und Askese breiteten sich in der Gemeinschaft aus. Julia hegte den Verdacht, dass einige der anderen fasteten. Murs verwandelte sich von einem magischen Hochleistungs-Forschungszentrum in eine Art religiösen Rückzugsort.
Auch Julia spürte die Auswirkungen. Sie stand im Morgengrauen auf und sprach nur das Nötigste. Ihr Verstand war klar und geschärft, ihre Gedanken glichen Vögeln, die einander an einem leeren Himmel zuriefen. Nachts schlief sie tief und fest – ein Tiefseeschlaf, ruhig und dunkel, durch den seltsame, stille, leuchtende Kreaturen schwebten.
Eines Nachts träumte Julia, die Madonna unter der Erde besuche sie in ihrem Zimmer. Sie kam in Gestalt einer Statue, derjenigen aus der Krypta in Chartres, steif und kalt. Die Figur reichte Julia einen hölzernen Becher. Julia setzte sich auf und trank wie ein fieberndes Kind, dem im Bett Medizin verabreicht wird. Die Flüssigkeit war kalt und süß, und Julia dachte an das Gedicht von John Donne über die dürstende Erde. Sie ließ den Becher sinken, und die Göttin beugte sich hinunter und küsste sie mit ihrem harten, vergoldeten Ikonengesicht.
Dann zerbrach die Figur. Ihre Außenhaut zersplitterte wie eine Eierschale, und aus dem Inneren trat endlich die Göttin in ihrer wahren Gestalt. Sie war ernst und unfassbar schön, und sie trug ihre Attribute in den
Weitere Kostenlose Bücher