Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
Verständnis. Ihm persönlich waren das Katzbuckeln und die Kratzfüße sowieso zu viel. Dennoch brauchte er eine Karte.
»Kannst du mir eine Karte zeigen, auf der die Außeninsel eingezeichnet ist?«
Benedikts Augen wurden für einen Moment glasig, und er zog eine geistige Datenbank zu Rate. Dann drehte er sich um und schlurfte zur gegenüberliegenden Wand, die lauter kleine quadratische Schubladen enthielt. Benedikt zog eine heraus – es zeigte sich, dass die Schubladen klein, aber sehr lang waren – und nahm die einzelne Rolle heraus, die sie enthielt.
Den Mittelpunkt des Kartenraums bildete ein massiver Holztisch, auf den ein aufwendiger Messingmechanismus geschraubt war. Behände spannte Benedikt die Rolle ein und betätigte eine Kurbel – bisher das Einzige, was er mit einem gewissen Eifer tat. Die Kurbel entrollte die Karte und breitete sie flach aus, so dass man sie von jeder Seite gut überblicken konnte.
Die Karte war länger, als Quentin vermutet hatte. Meter um Meter nahezu leeren Pergaments entrollten sich, während Benedikt kurbelte, und Kurven und Bögen von Längen- und Breitengraden, oder wie immer sich die fillorianischen Äquivalente nannten, überspannten Kilometer offenen Ozeans. Schließlich blieb Quentins Blick an einem kleinen, unregelmäßigen Flecken Land haften, unter dem in Kursivschrift der Name stand:
Außeninsel.
»Das muss sie sein«, bemerkte Quentin trocken.
Benedikt enthielt sich eines Kommentars. Es bereitete ihm schmerzliches Unbehagen, Augenkontakt zu halten. Quentin fragte sich, an wen Benedikt ihn bloß erinnerte, bis er erkannte, dass er wahrscheinlich selbst mit sechzehn auf andere so gewirkt haben musste. Seine Furcht vor allem und jedem hatte er hinter einer Maske der Verachtung verborgen, wobei die größte Verachtung ihm selbst gegolten hatte.
»Scheint ziemlich weit draußen zu liegen«, sagte Quentin. »Wie viele Tagesreisen sind es mit dem Schiff?«
»Keine Ahnung«, antwortete Benedikt, was nicht ganz der Wahrheit entsprach, weil er scheinbar unwillkürlich ergänzte: »Drei vielleicht. Es sind vierhundertsiebenundsiebzig Meilen. Seemeilen.«
»Was ist der Unterschied?«
»Seemeilen sind länger.«
»Wie lang genau?«
»Eintausendachthundertzweiundfünfzig Meter«, antwortete Benedikt automatisch, »und ein paar Zerquetschte.«
Quentin war beeindruckt. Irgendjemand musste Benedikt irgendwie etwas Wissen eingetrichtert haben. Der Messingkartenleser besaß zahlreiche Gelenkarme, die verführerisch nach einem griffen – jeder Arm mit einer beweglichen Linse daran. Quentin schwenkte einen Arm herum, und eine vergrößerte Ansicht der Außeninsel schwamm in sein Blickfeld. Die Insel war ungefähr erdnussförmig und an einem Ende mit einem Stern markiert. Ihre Umrisse waren dick und dunkel umrandet, mit einer schmaleren Außenlinie parallel dazu, als sollten Wellen angedeutet werden oder die Landmasse unter Wasser.
Die Insel entsprach ziemlich genau seinen Erwartungen. Eine dünne schwarze Linie, ein einzelner einsamer Fluss, schlängelte sich aus dem Landesinneren zur Küste. Neben dem Stern stand in kleineren Buchstaben das Wort
Außen
– wahrscheinlich der Name der einzigen Siedlung. Die Linse war nicht stark genug, um mehr zu erkennen; lediglich die feine Körnung des Pergaments trat gröber hervor.
»Wer lebt dort?«
»Fischer, nehme ich an. Es gibt einen Abgesandten der Krone dort. Darum der Stern.«
Sie betrachteten ihn zusammen.
»Eine Scheißkarte«, urteilte Benedikt. Er beugte sich vor, so dass seine Nase sie fast berührte. »Diese Schattierungen! Unmöglich! Warum interessieren Sie sich für die Insel?«
»Weil ich hinfahre.«
»Wirklich? Warum denn?«
»Das ist tatsächlich eine ziemlich gute Frage.«
»Wollen Sie den Schlüssel suchen?«
»Nein, ich suche nicht nach dem Schlüssel. Welcher Schlüssel?«
»Es gibt ein Märchen«, erklärte Benedikt, als spräche er zu einem Kleinkind, »in dem es heißt, dort befinde sich der Schlüssel, der die Welt aufzieht. Angeblich.«
Quentin war nicht übermäßig interessiert an fillorianischer Folklore.
»Warum begleitest du mich nicht?«, schlug er vor. »Du könntest eine neue Karte anfertigen, wenn diese hier so schlecht ist.«
Er mutierte wohl zum Sozialarbeiter für schwierige Jugendliche. Irgendetwas an dem Jungen weckte in Quentin das Verlangen, ihn aufzurütteln, ihn aus seiner Kuschelecke zu reißen, damit er aufhörte, über diejenigen zu spotten, die ihre bereits verlassen
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