Fillory - Die Zauberer
Stadt. Die älteren Physiker – ein Name, den sie in Brakebills zurückgelassen hatten und nie wieder benutzten – nahmen Quentin und Alice mit auf die Vorstadt-U-Bahn-Tour. In einem fensterlosen Café im zweiten Stock eines Hauses am Queens Boulevard beobachteten sie Kasachen und Chassidim beim Zergliedern einer Zahlentheorie. Sie aßen Klöße mit koreanischen Mystikern in Flushing und sahen modernen Isis-Anbetern dabei zu, wie sie im Hinterraum einer Bodega am Antlantic Boulevard ägyptische Straßenverwünschungen übten. Einmal nahmen sie die Fähre nach Staten Island, wo sie in einer Konklave von Philippino-Schamanen am Rande eines schwindelerregend blauen Swimmingpools Gin-Tonics tranken.
Doch nach ein paar Wochen war die Energie für solche lehrreichen Exkursionen schon so gut wie aufgebraucht. Es gab einfach zu vieles, was sie ablenkte, und nichts besonders Dringendes, wovon man sie ablenken konnte. Die Magie würde immer da sein, sie war harte Arbeit und sie hatten sich lange Zeit mit ihr beschäftigt. Worin Quentin Nachholbedarf hatte, war das Leben. Zwar war der magische Untergrund New Yorks beschränkt, dafür aber die Zahl und Vielfalt seiner Cafés, Restaurants und Kneipen einfach phantastisch. Und hier gab es Drogen – richtige Drogen! Sie hatten alle Macht der Welt, keine Arbeit und keinen, der sie aufhielt. Außer Rand und Band eroberten sie die Stadt.
Alice fand das alles nicht ganz so aufregend wie Quentin. Sie hatte die Beamtenlaufbahn oder Forschungsstelle, die ernsthafte Brakebills-Absolventen für gewöhnlich anstrebten, fürs Erste zurückgestellt, damit sie mit Quentin und den anderen in New York bleiben konnte, aber dennoch zeigte sie aufrichtige akademische Wissbegier. Daher verbrachte sie einen guten Teil des Tages mit dem Studium der Magie, anstatt sich zum Beispiel von den Ausschweifungen der vorherigen Nacht zu erholen. Quentin schämte sich ein wenig, weil er es ihr nicht gleichtat, obwohl er hin und wieder die Absicht äußerte, seine fehlgeschlagene Mondexpedition zu wiederholen. Doch er schämte sich nicht genug, um irgendetwas in dieser Richtung zu unternehmen. (Alice gab ihm eine Reihe von verschiedenen Spitznamen, die alle etwas mit der Raumfahrt zu tun hatten – Scotty, Major Tom, Laika –, bis sie sich angesichts seiner mangelnden Fortschritte eher demütigend als lustig anhörten.) Quentin fühlte sich dazu berechtigt, Dampf abzulassen, den Brakebills-Koboldstaub abzuschütteln und einfach ein bisschen zu leben. In Eliot fand er einen Gleichgesinnten. (»Warum haben wir wohl eine Leber?«, pflegte er in seinem übertriebenen Oregon-Dialekt zu fragen.) Es war kein Problem. Quentin und Alice waren eben verschieden. Machte das nicht die Sache interessant?
Quentin jedenfalls fühlte sich interessant. Er fühlte sich faszinierend. Im ersten Jahr nach dem Abschluss wurden ihre finanziellen Bedürfnisse aus einem immensen geheimen Schmiergeldfonds gedeckt, der im Laufe der Jahrhunderte, vermehrt durch magische Investitionen, angelegt worden war. Daraus wurde allen frischgebackenen Zauberern, die es nötig hatten, eine regelmäßige Unterstützung gewährt. Nachdem er die vier Jahre in Brakebills fast klösterlich gelebt hatte, besaß Geld für Quentin eine ganz eigene Magie: Es war eine Möglichkeit, eine Sache in eine andere zu verwandeln, etwas aus dem Nichts heraus hervorzubringen, und er setzte diese Magie überall in der ganzen Stadt ein. Die Leute mit Geld hielten ihn für einen Künstler, die Künstler hielten ihn für einen, der Geld hatte, und alle hielten ihn für klug und gut aussehend, weshalb er überall eingeladen wurde: zu exklusiven Wohltätigkeitsveranstaltungen, in Untergrund-Pokerclubs, in Tauchbars, zu Dachgartenfesten und exzessiven Drogenpartys, bei denen man die ganze Nacht in Luxuslimousinen herumfuhr. Er und Eliot gaben sich als Brüder aus und ihr Doppelauftritt war der Hit der Saison, die Rache der Nerds.
Nacht für Nacht kehrte Quentin im Morgengrauen nach Hause zurück, allein. Wie ein gelb lackierter Leichenwagen setzte ihn ein feierliches, einsames Taxi vor der Tür ab. Die Straße badete in bläulichem Licht – das zarte Ultraschallstrahlen des embryonalen Tages. Während er vom Koks oder dem Ecstasy runterkam, fühlte sich sein Körper fremd und schwer an, wie ein Golem aus irgendeinem ultradichten Sternenmetall, das vom Himmel gefallen und in menschlicher Form erstarrt war. Er fühlte sich so schwer, als könne er jeden Moment durch
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