Fillory - Die Zauberer
sie sogar einen gewissen Sinn für Humor, obwohl sie ihre Witze meist in altem Kirchenslawisch riss.
An Penny wären ihre Scherze ohnehin abgeprallt, denn er besaß keinen Funken Humor. Er übte vor sich hin, murmelte seine Sprüche und beobachtete das Gestikulieren und Flattern seiner bleichen Hände in einem massiven, goldgerahmten Barockspiegel, der an der Wand lehnte. Auf dem Spiegel lag ein alter, verblasster, fast vergessener Zauber, so dass Pennys Bild manchmal durch die Ansicht einer baumlosen grünen Hügellandschaft ersetzt wurde, einer geschwungenen, grasbewachsenen Welle unter einem bedeckten Himmel. Der Spiegel glich einem Fernseher mit einem schlecht installierten Kabelanschluss, der ab und zu ein umherirrendes Bild aus weiter Ferne empfing.
Anstatt eine Pause einzulegen, wartete Penny einfach still und ungerührt, bis das Bild wieder wechselte. Insgeheim machte der Spiegel Quentin nervös, als könne jeden Moment etwas Schreckliches über den Hügelkamm kommen oder als sei unter dem Gras etwas Ruheloses vergraben.
»Wo das wohl sein mag?«, fragte Alice. »Ich meine, in Wirklichkeit.«
»Keine Ahnung«, sagte Quentin. »Vielleicht ist es Fillory.«
»Du könntest hindurchsteigen. So geht das doch immer in den Büchern.«
»Das wäre ja toll! Stell dir mal vor: Wir könnten durchklettern, einen Monat lang lernen, zurückkommen und die Prüfungen mit Bravour bestehen!«
»Nein, jetzt sag nicht, du würdest nach Fillory gehen, um noch mehr lernen zu können«, erwiderte Alice. »Das wäre wirklich das Traurigste, was ich je gehört habe.«
»Ein bisschen leiser, Leute!«, forderte Penny.
Für einen Punk konnte Penny ein unglaublicher Korinthenkacker sein.
Der Winter brach herein, ein harter, bitterkalter Hudson-Valley-Winter. Die Brunnen froren zu und der Irrgarten war mit weißem Schnee bedeckt, außer an den Stellen, wo die Baumschnittfiguren sich zitternd auseinanderdrängten und die Flocken abgeschüttelt hatten.
Quentin, Alice und Penny stellten fest, dass sie sich von ihren Kommilitonen absonderten, die sie mit Neid und Abneigung betrachteten, ein Verhalten, das Quentin vor lauter Übermüdung und Zeitmangel einfach ignorierte. In dieser Phase bildeten sie ihren eigenen exklusiven Club in dem ohnehin schon geschlossenen Club des Brakebills College.
Quentin entdeckte seine Liebe zum Lernen wieder. Es war nicht einmal der Wissensdurst, der ihn antrieb, oder das Bedürfnis, Professor Van der Weghes Erwartungen zu erfüllen, dass er ins zweite Studienjahr gehörte. Hauptsächlich war es einfach die vertraute, perverse Befriedigung durch monotones, quälendes Lernen. Dieselbe masochistische Lust hatte ihn befähigt, irgendwann das Mills-Mess-Muster, die Faro-Mischtechnik und den Charlier-Cut zu beherrschen oder »Analysis 2« zu knacken, als er erst in der achten Klasse war.
Einige der älteren Studenten empfanden irgendwann Mitleid mit den drei Marathon-Paukern. Sie adoptierten sie, wie eine Kindergartengruppe eine Springmausfamilie adoptiert hätte. Sie spornten sie an und versorgten sie in den späten Abendstunden mit Snacks und Limo. Sogar Eliot ließ sich zu einem Besuch herab. Er brachte einen Satz eingeschmuggelter Zauberformeln und Talismane mit, die dabei helfen sollten, länger wach zu bleiben, schneller zu lesen und die Merkfähigkeit zu verbessern, obwohl es schwer zu sagen war, ob sie funktionierten oder nicht. Sie stammten, so behauptete er, von einem schäbigen alten Hausierer, der ein-, zweimal im Jahr in einem alten Lieferwagen mit einem Holzaufbau voller Krempel in Brakebills auftauchte.
Der Dezember schlich auf leisen Sohlen vorbei, in einem schlaflosen Wachtraum unentwegter harter Arbeit. Das Lernen hatte keinerlei Bezug mehr zu irgendeinem Ziel. Sogar Quentins Stunden mit Professor Sunderland verloren ihren Reiz. Er ertappte sich dabei, wie er trübe auf die schimmernden Wölbungen ihrer schmerzlich vollen und zum Greifen nahen Brüste starrte, obwohl er wusste, dass er sich weitaus technischer gearteten Problemen zuwenden sollte, wie etwa der richtigen Daumenposition. Seine Verliebtheit war jetzt nicht mehr aufregend, sondern eher deprimierend, als hätte sie sich von der ersten Flamme der Betörung zu der leisen Wehmut gegenüber einer Ex-Geliebten gewandelt, ohne die Erleichterung einer wenn auch nur kurzfristigen, echten Beziehung dazwischen.
Inzwischen schwebte er von der letzten Reihe aus durch Professor Marchs Übungen, erfüllt mit gelinder Verachtung für
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