Fillory - Die Zauberer
gelang es ihm, seinen ehemaligen Laborpartner Surendra auf einen Spaziergang mitzuschleppen. Sie schlängelten sich durch den Irrgarten, eingehüllt in ihre Mäntel, und machten sich planlos auf den Weg. Im Grunde hatte keiner von beiden richtige Lust dazu. Die Sonne stand am Himmel, aber es war immer noch bitterkalt. Die Hecken wurden von tropfendem Eis hinunterdrückt und in den schattigen Ecken türmten sich verharschte Schneehaufen. Surendra war der Sohn eines sagenhaft reichen, bengalischstämmigen Geschäftsführers eines Computerunternehmens aus San Diego. Sein rundes, freundliches Gesicht täuschte über die Tatsache hinweg, dass er der unverhohlen sarkastischste Mensch war, den Quentin kannte.
Auf ihrem Weg durch das Meer heftete sich irgendwann ein Mädchen aus dem zweiten Jahr namens Gretchen an ihre Fersen. Sie war blond, langbeinig und schlank wie eine Ballerina. Ein Geburtsfehler im Kniegelenk war der Grund für ihr starkes Hinken, das sie mit einem Gehstock auszugleichen versuchte.
»Hallöchen, Jungs.«
»Es ist das Hinkebein«, sagte Quentin.
Sie schämte sich nicht für ihr Bein. Jedem, der es hören wollte, erzählte sie, dass daher ihre Macht kam, und wenn sie es operieren ließe, sie ihre Zauberkraft verlieren würde. Niemand wusste, ob das der Wahrheit entsprach oder nicht.
Gemeinsam spazierten sie bis zum Ende des Rasens und hielten dann inne. Vielleicht war es eine falsche Entscheidung gewesen, zusammen loszugehen. Keiner von ihnen schien zu wissen, wohin sie sich jetzt wenden sollten oder was sie überhaupt dort wollten. Gretchen und Surendra kannten sich sowieso kaum. Eine Weile hielten sie ein wenig Smalltalk – Klatsch, Prüfungen, Lehrer –, wobei Surendra natürlich keine Ahnung hatte, wovon die beiden aus dem zweiten Studienjahr redeten. Jedes Mal, wenn er etwas nicht verstand, verschlechterte sich seine Laune. Der Nachmittag drohte, in einer miesen Stimmung zu enden. Quentin hob einen feuchten Stein auf und warf ihn, so weit er konnte. Geräuschlos fiel er ins Gras. Die Nässe kühlte seine nackten Hände noch mehr aus.
»Lasst uns hier entlanggehen!«, sagte Gretchen endlich und schlug einen diagonalen Kurs über das Meer ein, mit ihrem merkwürdigen, schwankenden Gang, der sie trotz seiner Unbeholfenheit ziemlich schnell voranbrachte. Quentin wusste nicht, ob er lachen sollte oder nicht. Sie folgten einem schmalen Kiesweg durch ein lichtes, kahles Pappelwäldchen und gelangten auf eine kleine Lichtung ganz am Rande des College-Geländes. Quentin war hier schon einmal gewesen. Er blickte auf ein seltsames Spielfeld, das an Alice im Wunderland erinnerte – akkurate Quadrate, von einem breiten Rasenstreifen umsäumt. Die einzelnen Quadrate hatten eine Kantenlänge von ungefähr einem Yard und bildeten eine Art großes Schachbrett, nur dass das gesamte Raster länger als breit war und die Quadrate von unterschiedlicher Beschaffenheit waren: Wasser, Stein, Sand und Gras. Zwei bestanden aus silbrigem Metall.
Die Grasquadrate waren ordentlich getrimmt wie Golfrasen; die Wasserquadrate glichen dunklen, glitzernden Teichen, die den blauen Himmel mit den windzerzausten Wolken widerspiegelten. »Was ist das hier?«, fragte Quentin.
»Wie meinst du das?«, erwiderte Surendra.
»Hast du Lust auf ein Spiel?«, fragte Gretchen und ging am Rand entlang auf die andere Seite des Schachbretts. Ein hoher, weiß gestrichener Holzstuhl stand in der Mitte des Feldrands, wie der Ausguck eines Rettungsschwimmers oder der Sitz eines Tennis-Schiedsrichters.
»Das ist also ein Spiel?«, fragte Quentin und blickte von einem zum anderen. »Was denn für eines?«
Surendra sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
»Manchmal verstehe ich dich wirklich nicht«, sagte er. Aber dann wurde ihm klar, dass er in diesem Fall Quentin mit seinem Wissen voraus war. Gretchen warf Surendra einen vielsagenden, mitleidigen Blick zu. Typisch – immer ging sie schon nach kurzer Zeit vertraulich mit Leuten um, die sie im Grunde kaum kannte.
»Das«, sagte sie großspurig, »ist Welters.«
Quentin hatte sich damit abgefunden, verspottet zu werden. »Also ist es ein Spiel?«
»Oh, es ist viel mehr als nur ein Spiel«, antwortete Gretchen.
»Es ist eine Leidenschaft«, sagte Surendra.
»Es ist ein Lebensstil.«
»Es ist eine Überzeugung.«
»Ich kann es dir erklären, wenn du ungefähr zehn Jahre Zeit hast«, sagte Gretchen und blies in ihre Hände. »Im Grunde ist es ganz einfach: Eine Mannschaft steht auf
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