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Film ab im Internat

Film ab im Internat

Titel: Film ab im Internat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Hoßfeld
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Sprechstundenhilfe ihren gefiederten Freund entgegen und sagt ihren Text auf. Fehlerfrei!
    „Das war’s!“ Der Regisseur klatscht in die Hände. „Holt den Vogel!“
    Den Vogel? Welchen Vogel? Carlotta sieht sich irritiert um.
    Der Requisiteur nimmt ihr den Stoffpapagei ab. „Gleich kommt der echte. Der ist ein bisschen schwerer“, sagt er.
    Carlotta glaubt, so etwas wie Mitleid in seinem Blick zu erkennen.
    „Heißt das, dass das ganze Theater gleich noch mal von vorne losgeht?“, stöhnt sie.
    Der Requisiteur nickt.
    Kurz darauf sieht sich Carlotta einem riesigen Graupapagei gegenüber, der sie argwöhnisch mustert und dabei ein leises Gurren von sich gibt.
    „Das ist die Paula“, sagt ein grauhaariger Mann mit einem lustigen Schweizer Akzent. „Und ich bin der Urs.“
    Er reicht Carlotta die Hand. Auf der anderen balanciert er Paula.
    „Sie sind Urs Woelki?“, fragt Carlotta. „Das ist ja cool! Eine Freundin von mir ist ein großer Fan von Ihnen. Sie –“
    Der Tiertrainer unterbricht sie. „Wir haben leider nicht viel Zeit. Am besten gewöhnst du dich ein wenig an Paula. Hattest du schon mal einen Papagei auf dem Arm?“ Er betont das Wort Papagei auf den ersten beiden Silben. Es hört sich sehr witzig an.
    „Ähm …“, macht Carlotta zögernd. „Nö.“
    „Macht nichts. Das passt schon.“ Herr Woelki gibt Paula eine Erdnuss. Dann muss Carlotta den rechten Arm ausstrecken. Paula rollt die Nuss in ihrem Schnabel hin und her und wandert seelenruhig von der Hand ihres Trainers auf Carlottas Arm.
    „Ups, ganz schön schwer!“, staunt Carlotta. In Gedanken fügt sie hinzu: Und dieser krumme Schnabel sieht ziemlich bedrohlich aus!
    „Hi, Paula!“, sagt sie zu dem Vogel.
    „Grüezi“, antwortet Paula in Schweizerdeutsch.
    Carlotta lacht.
    Herr Woelki nickt zufrieden. „Sie ist eine ganz Brave. Du musst sie nur möglichst ruhig halten, dann passiert schon nichts.“
    Er raunt Paula ein paar schweizerische Liebkosungen zu und gibt ihr noch eine Nuss.
    Carlotta kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wenn Paula nur nicht so schwer wäre!
    „Auf geht’s!“, ruft der Regisseur.
    Mit Paula auf dem Arm wankt Carlotta zum Drehort zurück und stellt sich wieder in Position. Die Sprechstundenhilfe weicht einen Schritt zurück.
    „Sie müssen keine Angst haben“, sagt Carlotta zu ihr. „Die ist ganz lieb.“
    „Grüezi“, sagt Paula und nickt.
    Die Klappe fällt. Carlotta sagt ihren ersten Satz. Genau in diesem Augenblick gibt es einen ohrenbetäubenden Knall. Carlotta zuckt zusammen, vergisst dabei, dass sie einen echten Papagei auf dem Arm hat, und fährt erschrocken herum.
    Einer der großen Scheinwerfer ist umgefallen. Paula schlägt mit den Flügeln, krächzt ein heiseres „Servus“ und schwingt sich in die Lüfte.
    „Nein!“, ruft Carlotta.
    Die Sprechstundenhilfe duckt sich hinter eine Requisite.
    „Paula!“, ruft Herr Woelki.
    Der Regisseur rauft sich die Haare und flucht.
    Paula dreht eine Runde in dem Kutschenhaus, sieht ein offen stehendes Fenster und zögert keine Sekunde. Eine sehr elegante Kurve beschreibend fliegt sie hinaus in den Park und verschwindet zwischen den hohen Bäumen. Carlotta starrt ihr sprachlos hinterher.
    „Haltet den Vogel!“, ruft jemand.
    „Paula!“, ruft Herr Woelki noch einmal.
    „Auweia“, murmelt Carlotta und lässt den Arm sinken, auf dem eben noch der Papagei gesessen hat.
    „Wir machen eine Pause!“, ruft Maria.
    „Es tut mir so leid. Ich –“, setzt Carlotta an, aber niemand achtet auf sie.
    Der Regisseur ist mitsamt seinem Tross verschwunden, ebenso Maria, Tim Fröhlich und die Sprechstundenhilfe. Herr Woelki ist in den Park gelaufen, um Paula wieder einzufangen. Zwei Helfer richten den Scheinwerfer auf und begutachten den Schaden.
    Carlotta bleibt unschlüssig stehen, dann dreht sie sich um und geht ebenfalls hinaus. Die Dreharbeiten scheinen fürs Erste beendet zu sein.
    „Kein Vogel, kein Film“, murmelt sie und geht zu ihrem Rucksack, den sie hinter einer Bank deponiert hat. Sie braucht etwas Süßes, und zwar dringend!
    Nachdem sie eine zerknautschte Tüte Gummibärchen aus der Seitentasche gezogen und sich ein paar weiße Notfallbärchen in den Mund geworfen hat, schlendert sie langsam durch den Park in Richtung See. Wenn jemand sie sucht, wird er sie schon finden. Und wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Sie verspürt nicht die geringste Lust, noch einmal zu den Dreharbeiten zurückzukehren.
    Hoffentlich geben die mir nicht

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