Filmriss
Kulleraugen, die mich kritisch mustern. Ich sage der Frau, wohin ich muss, sie reagiert freundlich. Danach spreche ich die ganze Fahrt lang kein Wort mehr, auch sie schweigt und nicht mal der Junge macht einen Mucks.
Es regnet noch immer, der Scheibenwischer läuft ununterbrochen. Als ich aussteige, ist der Junge eingeschlafen.
Am Strand angekommen, bemerke ich, dass der Regen aufgehört hat. Ich begrüße keinen und geh gleich zum Kicker, steige wortlos in ein Match zwischen Benny und Steve ein. Marlon kommt und mustert mich besorgt.
»Was ist los?«
Er hat eine Flasche Bier in der Hand, scheint aber noch ziemlich nüchtern zu sein.
»Was soll denn los sein, verdammt?« Wütend hämmere ich den Ball ins Tor. »Nichts ist los. Gar nichts.«
Es läuft keine Musik. Marlon legt eine Hand auf meine, hindert mich so am Weiterspielen.
»Lass mich, Mann!«
»Dein Ernst?«
»Na klar. Oder sehe ich etwa aus, als ob ich Spaß mache?«
Er zögert eine Sekunde und lässt mich dann stehen. Dass er mich so schnell in Ruhe lässt, habe ich auch wieder nicht gewollt. Vielleicht will ich es überhaupt nicht.
»Kommst du mit mir raus zur Bank?«, frage ich Frieda.
Wir gehen und verpassen uns gegenseitig einen Trichter. Dann setzen wir uns ins Gras hinter der Hütte, das noch ein bisschen feucht ist. Aber es regnet inzwischen schon eine ganze Weile nicht mehr, der Abendhimmel ist dunkellila und ein bisschen rot. Von hier aus kann man aufs Meer gucken. Es ist Flut, auf den Wellen blitzen weiße Kämme. Der Wind ist wärmer als sonst im Herbst, aber wir ziehen unsere Kapuzen über.
»Meine Mutter ist bei einem Unfall gestorben«, sage ich.
Frieda zündet sich eine Zigarette an.
»Ich weiß. Ist doch schon ein paar Jahre her, oder?«
»Zehn . – Gib mir auch eine.«
Sie reicht mir ihre Fluppe und zieht eine neue aus der Tasche. Ich rauche fast nie. Frieda wartet geduldig, was noch kommt.
»Ihr Bruder saß am Steuer.«
Sie schweigt.
»Er war besoffen.«
Sie schweigt weiter. Man hört nur das Rauschen der Wellen.
»Warum erzählst du mir das?«, fragt sie schließlich. »Und warum gerade jetzt?«
»Weil ich es selbst grad erst erfahren habe.« Meine Worte klingen wie eine Frage und ich glaube, sie sind auch eine.
Wir rauchen schweigend. Es weht uns kräftig ins Gesicht. Fast ist es, als ob unsere Gedanken sich irgendwo da draußen über dem Meer träfen und vereinten.
»Ist trotzdem zehn Jahre her«, sagt Frieda, legt eine Hand auf meinen Unterarm, streichelt ihn, als wäre ich eine gute Freundin. »Meine Mutter lebt noch. Aber es ist ihr egal, was ich mache. Oder eben nicht mache.«
»Das glaub ich nicht.«
»Kannst du ruhig glauben. Ist so. Die hat nur sich selbst im Kopf. Und das, was andere Leute über sie oder mich denken.«
Frieda tritt ihre Zigarette so vorsichtig aus, als wollte sie sie dabei nicht kaputt machen. Die erloschene Kippe hebt sie auf und spielt damit zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Und dein Vater?«, frage ich.
»Dem bin ich nicht egal.« Sie schnippt den Zigarettenstummel mit zwei Fingern weg. »Aber er ist praktisch nie zu Hause. Manchmal sehe ich ihn die ganze Woche nicht.«
» Life is life .«
Frieda guckt schelmisch unter ihrer Kapuze hervor und grinst.
»Du sagst es. Und death is death .«
»Nee, death is auch life . Das ist es ja gerade. Der Tod gehört zum Leben. Der Tod meiner Mutter ist ein Teil meines Lebens.«
Meine Zigarette erlischt von allein.
Ich stehe auf, die Hände in den Taschen. Frieda bleibt noch sitzen.
»Die Prügelei beim Kicker«, sagt sie leise, »tut mir wirklich leid. Ich glaub, ich hab damit gar nicht dich gemeint. Jedenfalls nicht nur.«
»Ich weiß. Kommst du mit zum Wasser?«
»Kannst du mi r … verzeihen?«
»Hab ich schon längst.«
Frieda steht auf.
»Ich meine, so richtig?«
»Kein Problem. Wie gesagt: Life is life . Manchmal macht man was, das einem hinterher leidtut. Aber irgendwann muss man die Dinge abhaken können.«
Wir lächeln uns an und traben langsam los. Unten am Wasser lassen wir ein paar flache Steine über die Wellen tanzen. Frieda kann das mindestens zehnmal so gut wie ich.
»Findest du nicht«, sage ich, »dass wir zu viel trinken?«
»Das Leben ist öde genug«, meint Frieda. »Warum nicht ein bisschen Spaß haben? Andere kiffen sich die Birne zu. In Berlin macht jeder irgendwas. Oder alles zusammen. Dagegen sind wir echt harmlos. Superharmlos sogar.«
»Ich weiß nicht.«
»Wir machen ja auch nicht ewig so weiter.
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