Filmriss
Irgendwann ist’s gut und das war’s dann. Ist alles nur eine Phase. Dann nur noch ab und zu ein Gläschen in Ehren, auf unseren Silberhochzeiten und so.«
Jetzt redet sie wie Marlon, das sind beinah seine Worte.
»Kannst du dir das wirklich vorstellen?« Ich muss plötzlich lachen. »Wir auf unseren Silberhochzeiten?«
»Na klar.« Frieda lacht auch. »Genau so wird es kommen mit uns. Verlass dich drauf. Wir werden die totalen Siberhochzeitsspießer.«
Wir gehen ein Stück am Wasser lang. Es fängt wieder an zu nieseln, aber das ist jetzt egal.
»Mit meinem Onkel ist es nicht so gekommen«, sage ich. »Er hat die Kurve nicht gekriegt, noch nicht mal nach dem Unfall. Er hat es nicht geschafft, ein normales Leben zu führen.«
»Vielleicht sind manche zu schwach«, sagt Frieda. »Aber denen würde ohne Alkohol auch irgendwas passieren, glaub mir.«
»Und woher weiß man, ob man schwach ist oder nicht?«
»Man spürt es.«
Der Wind vom Meer wird stärker. Frieda hat eine kleine Flasche mit süßem Zeug dabei, die trinken wir aus.
»Und du?«, frage ich sie. »Bist du stark?«
»Na klar.« Sie rennt ein Stück voraus, dreht sich um. »Was denkst du denn?«
Wir sind jetzt an der Stelle, wo zwei Strömungen im Meer aufeinanderprallen. Es ist Springflut und die Wellen hier sind höher als sonst.
»Und du bist auch stark!«, ruft Frieda laut »Verstanden?«
Sie pfeffert die leere Flasche weit raus aufs Wasser.
»Was bedeutet Starksein überhaupt?«
»Dass du genau das machst, was du willst.«
Sie kommt ganz nah an mich ran. Sie ist nass. Sie kommt so nah, dass ich ihre Haut riechen kann. Sie riecht gut.
»Nicht das, was die anderen dir sagen. Du musst dein eigenes Ding machen. Mit allem, was du bist und kannst. Mit deinem ganzen Kopf und deinem ganzen Herzen. Immer hundert Prozent, verstehst du, immer.«
»Aber was ist mein Ding?«
»Das musst du selbst rausfinden.« Frieda zieht noch ein Fläschchen aus der Tasche. »Es ist das einzig Wichtige im Leben. Ich will zum Beispiel mal so leben, dass ich niemandem Rechenschaft ablegen muss. Ich will frei sein, damit ich immer genau das tun kann, was ich tun will.«
»Hast du noch mehr von dem Zeug?«, frage ich. »Schmeckt lecker.«
»Na klar.«
Wir setzen uns in den Sand, obwohl es weiternieselt und auch langsam kälter wird.
»Vorhin hab ich gedacht, mein Vater wäre schwach. Aber der säuft wenigstens nicht. Und auch sonst hat er nie was gegen seine Überzeugung getan.«
»Dein Vater ist okay. Er kümmert sich wenigstens um dich.«
»Ich hab schon oft gedacht, dass alle anderen stärker sind als er. Sogar von Bert hab ich das lange gedacht. So’n Schwachsinn.«
»Der war jedenfalls nicht stärker als der Alk«, meint Frieda. »Und das muss man sein, wenn man ihn ausprobiert. Geht nicht anders.«
Sie springt auf.
»Wir sind mittendrin!«, ruft sie. »Mitten im Leben. Du, ich, wir beide. Das Meer, der Wind, der Regen und sonst nur wir. Mittendrin. Wir sind stark!«
Ihre plötzliche Begeisterung ist ansteckend. Ohne ein weiteres Wort streifen wir unsere Klamotten ab, rennen wie bekloppt ins Wasser. Zuerst ist es eiskalt, aber ganz schnell wird es wärmer.
»Mittendrin!«, rufen wir, lachen, werfen uns in die Wellen. Wir schreien das Wasser an und den Wind. Wir schreien einander gegenseitig an, bis wir nicht mehr können.
»Wir müssen alles unter Kontrolle haben, auch das Trinken«, sagt Frieda viel ruhiger, als wir mit den Klamotten in der Hand zur Hütte zurückgehen. »Das macht kein anderer für uns. Wer nicht stark ist, verliert.«
Wir rennen los zur Hütte wie zwei, die etwas Wichtiges nicht erwarten können.
Friedas Tagebuch
Gestern hab ich schon überlegt, ob ich es ihr erzählen soll. Ich hab sonst niemanden, mit dem ich drüber reden könnte: Meine Eltern wollen sich trennen.
Das weiß ich zwar nicht offiziell, aber gestern Abend hab ich zufällig ein Gespräch mit angehört.
»Ich werde ausziehen«, sagte Mum. »Dass es zwischen uns schon lange nicht mehr so ist wie früher, brauche ich dir ja wohl nicht zu sagen. Wir sehen uns den ganzen Tag nich t – und wenn ausnahmsweise, dann sprechen wir kaum ein Wort miteinander.«
Ich stand auf dem Flur, sie saßen im Wohnzimmer. Ich konnte sie nicht sehen, sie mich natürlich auch nicht.
Dad schwieg. Ich war erstarrt, konnte nicht mal den kleinen Finger bewegen.
»Wir haben uns auseinandergelebt«, meinte sie. »Oder siehst du das anders?«
Ich hörte, dass einer sich im Raum
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