Filmriss
einbilde.
Dann sagt jemand was, diesmal bin das sicher nicht ich. Immer wieder die gleichen Worte, wie ein Automat. Die Stimme erkenne ich nicht, aber irgendwann kommt die Bedeutung der Worte in meinem Kopf an: »Der stirbt«, sagt die Stimme. »Scheiße, der kratzt ab.«
»Hä?« Was anderes krieg ich nicht raus. Ich richte mich ein Stück weit auf. Vor mir steht Marlon, er schwankt wie ein Wackelbild.
Er lallt irgendwas, was wie »Krankenhaus« klingt. Dann kippt er um. Gerade nach hinten weg, wie ein gefällter Baum bleibt er liegen.
»Was’n los?«
Ich will zu ihm, aber das ist nicht so einfach, ich habe mich nicht mehr unter Kontrolle. Anstatt ihm näher zu kommen, entferne ich mich immer mehr von ihm. Ich weiß gar nicht mehr genau, wo er liegt. Dann stolpere ich plötzlich über ihn und falle hin.
Er ist total weggetreten, die Augen halb offen, die Pupillen verdreht, er rafft gar nichts mehr. Ich versuche mich an das zu erinnern, was er gesagt hat. Die Worte »Abkratzen« und »Krankenhaus« waren dabei. Ganz weit hinten in meinem Kopf fangen die Alarmglocken an zu läuten, aber keiner hört sie.
Ich will hoch, aber es klappt nicht. Schließlich richte ich mich ein kleines Stück auf. Dadurch verliere ich erst recht das Gleichgewicht, mein Kopf knallt gegen etwas Hartes. Vorbe i …
Auszug polizeiliche Vernehmung Steve
Frieda hat nicht mehr auf mich aufgepasst. Da hab ich auch was getrunken. Aber nicht so viel. Ich hatte Angst um Frieda. Die war komisch, ganz nackig auf einmal. Dann tanzte sie, ist dauernd hingefallen. Die Musik war total laut. Viele haben Frieda angefasst, aber sie hat es gar nicht bemerkt.
Sie hat geschrien, lauter als die Musik, und einen Ringkampf gemacht mit Birte, der war dann aber vorbei. Marlon hat gesagt, ich soll ihr beim Anziehen helfen. Sie hat geheult und was gesagt. Ihr ist schlecht geworden und sie ist rausgerannt. Ich bin hinterher.
Ich will nach Hause, hab ich gesagt. Sie sollte mitkommen, aber sie hat mich angeschrien. Ich sollte abhauen. Aber ich hatte Angst. Dann war auf einmal Karsten da, der hat mich auch angeschnauzt und hingeschubst, meine Hose war kaputt, am Knie, mein Knie hat geblutet. Markus war auch da und noch irgendeiner.
Alle anderen sind mit Frieda zum Strand gegangen. Ich hab sie nicht mehr gesehen. Ich wollte ihnen nach und dann Frieda nach Hause bringen. Dann hab ich was gehört, Geräusche. Hinter einem Sandberg. Ich bin hin. Friedas Top wurde vom Wind zu mir rübergeweht. Ich hab es festgehalten. Frieda lag da im Sand, einer war auf ihr drauf. Ihre Hose war unten, seine Hose auch. Frieda hat ihn gehauen, mit den Fäusten, aber er merkte es gar nicht. Er atmete laut. Ein paarmal lachte er. Ein anderer Typ stand daneben. Er hat Frieda nicht geholfen. Er hatte auch die Hose runter. Karsten saß im Sand. Frieda schrie laut und ich bekam Angst, aber das war nicht so schlimm, ich musste helfen.
Der eine Typ hatte ein Messer. Er hat mich angeschrien. Ich sollte verschwinden. Ich blieb aber da. Da hat er das Messer in mein Bein gestochen und mich weggeschubst. Ich hab noch viel mehr geblutet, mein Bein tat schrecklich weh. Frieda hat geschrien. Ich sollte verschwinden. Sie hatte immer mehr Angst, viel mehr als ich. Ich wollte Marlon holen. Dann war Benny da. Er hat Frieda gesucht. Dann war ich tot.
33
»Nächste Woche geh ich wieder zur Schule.«
Das hört sich an, als ob ich ein Urteil über mich selbst spreche.
Ich hab lange darüber nachgedacht. Ich habe total Angst davor, aber ich muss irgendwann den ersten Schritt tun. Ich hab nur dann keine Angst, wenn ich in meinem Bett liege und den Kopf so tief unter der Decke vergrabe, dass ich fast ersticke. So kann es einfach nicht weitergehen.
»Das ist gut«, sagt mein Vater und meint meinen Entschluss, wieder zum Unterricht zu gehen. Man hört, wie lange er drauf gewartet hat. »Ich mach dir was zu essen.« Er klingt wirklich erleichtert.
Die Nacht, in der das mit Frieda passiert ist, liegt vier Wochen zurück. Ich wurde danach mit einer schweren Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert, wurde richtig krank und bin seither außer Gefecht gesetzt. Hinterher wusste keiner, wer eigentlich den ersten Krankenwagen gerufen hat.
»Diese Nacht ist wie ein Puzzle, das man nur ganz langsam zusammensetzen kann«, sagt Klara Lange, die Sozialarbeiterin vom Jugendamt. Wir sitzen an einem runden Tisch mit Sesseln in ihrem Büro. Sie trinkt Kaffee, ich habe abgelehnt. Irgendwie kommt sie mir nicht mehr
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