Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Filmwissen

Filmwissen

Titel: Filmwissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Seeßlen
Vom Netzwerk:
Gefahr zu genießen, der Mut des letzten Abenteurers, auf den bald noch zu verzichten ist.
    Gehörten die fünfziger Jahre dem «schwarzen» Film, zu dem auch Le Salaire de la peur mit seinen realistischen Stilelementen und seiner fatalistischen Skepsis zählen könnte, so setzt mit der sogenannten Nouvelle Vague am Ende des Jahrzehntes von Frankreich aus das «Kino der Filmkritik» ein. Nicht nur zur Wirklichkeit war nun ein anderes Verhältnis möglich, sondern auch zu den kinematographischen Konventionen. Bezeichnend, wenn auch nicht mit überwältigenden Folgen, ist die manchmal ein wenig oberflächliche Manier, mit der klassische Genrefilme zitiert und Elemente der Filmgeschichte in die «neuen» Filme eingefügt wurden, um dem cineastisch Eingeweihten per Wiedererkennungseffekt Respekt und Vergnügen zu gewähren. Für die Entwicklung filmischer Ausdrucksformen bedeutsamer war der experimentelle Umgang mit den Strukturelementen des herkömmlichen Kinos. Auf einer ironisch reflektierenden Ebene konnte durch die Konkretheit der Filmbilder hindurch der «tiefere» Sinn der erzählten Geschichte, der Geschichte und des Erzählens selbst thematisiert werden. Dabei waren die etwas esoterischen Anfangsprojekte auch Inspirationsquelle einer Serie von populären Filmen, die sich eines ironischen Umgangs mit den Traditionen ihrer Genres, ihrer Helden, ihrer Stars und ihrer Erzählformen befleißigten.
    Mit Jean-Paul Belmondo, der sich als Bogart-Epigone in Jean-Luc Godards A bout de souffle ( Außer Atem ; 1959) einen Namen gemacht hatte, drehte der ehemalige Assistent von Claude Chabrol Philippe de Broca 1960 den Mantel & Degen-Film Cartouche ( Cartouche, der Bandit ), in dem er das Abenteuer als soziale Bewegung deutet. Der kleine Bandit Cartouche schwingt sich aus sozialrevolutionärem Geist heraus zum mächtigsten Mann von Paris auf. Am Ende allerdings verliert er durch Liebeshändel alles wieder und kann gerade noch sein eigenes Leben retten (vergleiche auch den Abschnitt «Die Erben der Musketiere».)
    Wieder mit Belmondo in der Hauptrolle, der inzwischen in Le Doulos ( Der Teufel mit der weißen Weste ; 1962, Regie: Jean-Pierre Melville) den Übergang zum Genrefilm geschafft hatte, entstand 1963 L’Homme de Rio ( Abenteuer in Rio ). Mit einer dicken Zigarre im Gesicht und dem Blick unsteter Überheblichkeit persifliert Belmondo den Gangstertypus, seine weit ausholenden, Energieüberschuss verratenden Bewegungen erinnern an die agilen swashbuckler . Als Adrien Dufourquet verstrickt er sich in eine verwirrende Entführungsgeschichte, die ihn von Paris nach Rio de Janeiro, Brasilia, in den brasilianischen Urwald und wieder zurück nach Paris führt. Es geht um drei antike Statuen, mit deren Hilfe man das Geheimnis der Malteken lüften zu können glaubt. Der fanatische Professor (Jean Servais), in dessen Museum eine von ihnen steht, entpuppt sieh als Entführer seiner Mitarbeiterin Agnès (Françoise Dorléac), der Freundin Adriens, die das Versteck der zweiten kennt, und als Mörder des Brasilianers Dieastros, Besitzers der dritten. Während der Professor sich im Dschungel der Enträtselung des Geheimnisses widmet und Adrien zum zweitenmal Agnes befreit, erschüttern gewaltige Explosionen den Schauplatz im Urwald, und der Professor verunglückt tödlich. Aber nicht die Rache der Malteken, sondern eine Straßenbaukolonne ist verantwortlich für dieses Schicksal, wie man dem Bild heranrollender Bulldozer entnehmen kann. Wieder zurück in Paris und im Zug nach Besançon, entfährt es Adrien: «Was für ein Abenteuer!» Er meint damit jedoch nicht die selbstüberstandenen Erlebnisse, sondern den Bericht seines Freundes, der erzählt, wie er drei Stunden im Verkehrsgewühl von Paris gebraucht habe, um vom Montmartre zum Gare de l’Est zu gelangen.
    Es ist eine der Verabredungen des Genres, dass die Gelehrten solch exotischer Fachrichtungen wie Archäologie, Afrikanistik oder Ägyptologie sich aus ihren Studierstuben, Museen, Lehrsälen aufmachen, um in der wahren Exotik ferner Länder Abenteuer und Geheimnis zu finden. Und eine gebräuchliche Formel besagt, dass diese Professoren des Abenteuers entweder ihre Skurrilität und Naivität behalten oder aber mehr oder weniger überschnappen. Der Wissenschaftler dieses Films freilich schnappt nicht nur über, er entledigt sich auch aller Skrupel, ist nicht auf ein Ziel hin, sondern in seiner ganzen Motivation wahnsinnig. Und neu für das Genre ist auch nicht der Held, der

Weitere Kostenlose Bücher