Finger weg Herr Doktor!
gewöhnlich um sieben Uhr nach Hause. An diesem Abend parkte er seinen Jaguar in der Garage seines Hauses und öffnete, die Aktentasche in der Hand, die Hintertür mit dem angenehmen Gefühl eines Mannes, der gute Nachrichten heimbringt, vor allem solche, die ihn selbst betreffen. Er hängte seinen Homburg auf die Ablage in der Halle, ging munteren Schrittes auf die Tür seines ebenerdig gelegenen Arbeitszimmers zu und öffnete sie. Sein Lächeln erstarb, als er seinen Sohn George darin vorfand.
»Was kramst du in meinem Schreibtisch herum?«
»Oh, hallo, Papa! Ich suche das British Medical Journal von dieser Woche.«
»Seit wann bist du so scharf darauf, über die neuesten medizinischen Errungenschaften auf dem laufenden zu sein? Dein Hirn hätte, weiß Gott, genug damit zu tun, sich die Erkenntnisse der letzten fünfhundert Jahre anzueignen.« Die Augen des Deans verengten sich zu Schlitzen. »Du suchst doch nicht etwa die Prüfungsfragen, wie?«
»Aber, Papa, ich trete doch nicht einmal zur Prüfung an.«
»Eben. Aber ich würde es nicht für unmöglich halten, daß dich einer der Studenten bestochen hat.«
»Papa, was für entsetzliche Dinge sagst du da?«
»Entsetzlich, ja, aber deswegen um nichts unwahrscheinlicher. Wir haben derzeit ein paar üble Burschen an der Ärzteschule. Du solltest dir deine Freunde sorgfältiger aussuchen, besonders jetzt, wo ich...« Er hielt inne. »Oh, Hüterin des Hauses, hebe Inga«, rief er aus, als der blonde Schopf des Au-pair-Mädchens in der Tür auftauchte. »Sagen Sie bitte meiner Frau, sie möchte einen Augenblick herkommen! Und du, George, geh auf dein Zimmer und vertief dich in deine Bücher! Im Leben eines Medizinstudenten ist jede Minute kostbar. Bis zum Abendessen kannst du noch leicht ein wichtiges Kapitel lernen.«
»Papa!« George trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich frage mich oft, ob ich mich wirklich fürs Medizinstudium eigne.«
»Aber natürlich!« belehrte ihn sein Vater kurz. »In unserer Familie gibt es seit den Tagen der Gladstoneschen Blutegel Ärzte. Ich wollte, du würdest dem Beispiel deiner Schwester folgen. Sie sitzt bestimmt oben und studiert eifrig, wie gewöhnlich. Und was möchtest du statt dessen anfangen, wenn ich fragen darf?«
»Ich dachte an... äh, an das Schauspiel.«
Der Dean schnaubte: »Nur weil du in der Spitalspantomime einen Narren abgegeben hast, bildest du dir ein, eine Mischung aus Bernard Shaw und Brian Rix zu sein.«
»Alle sagen, daß ich Talent habe.«
»Wer sagt das? Inga wahrscheinlich. Im übrigen habe ich bemerkt, daß du zuviel mit ihr herumschäkerst. Wir legen in unserer Familie Wert auf ein bestimmtes Niveau, auch wenn alle anderen nur Pot, Pille und Porno im Kopf haben. Ah, da bist du ja, meine Liebe.«
George verschwand. Seine Mutter war eine große, gutaussehende, elegant gekleidete Frau mit freundlichen grauen Augen und sanftem Wesen. Auf den Dean übte sie die behagliche Faszination eines dem Kamin zugewendeten Sofas an einem kalten Nachmittag aus. Er öffnete die Hausbar in der Ecke und entnahm ihr eine Flasche Sherry.
»Josephine, wir wollen anstoßen.« Er füllte zwei Gläser. »Auf... nein, trinken wir auf dein Wohl. Auf die zukünftige Lady Lychfield!« Sie starrte ihn an. »Es ist alles festgesetzt«, fuhr er augenzwinkernd fort. »Ich bekam einen Brief von Willie aus dem Ministerium. Die Mühlen haben gemahlen. Meine Jahre selbstlosen Dienstes für St. Swithin und die Medizin im allgemeinen sollen nunmehr ihre gerechte Belohnung finden, und zwar am Geburtstag der Königin. Obwohl sie mich, wenn ich es recht bedenke, schon vor Jahren hätte adeln müssen.«
»Oh, Lionel«, flüsterte sie, »Sir Lionel.«
Der Dean küßte sie flüchtig auf die Wange. »Hat sich gelohnt, all die Jahre mit mir verheiratet zu sein, was?«
Ihre Augen funkelten. Nie zuvor war sie ihm so schön erschienen. Welch unglaublicher Zauber geht doch von den zweimal jährlich erscheinenden Ehrenlisten aus, und das in einem Land, wo selbst der Premierminister Wert darauf legt, bekanntzumachen, daß er die gleiche in Flaschen abgefüllte Sauce über die Bratkartoffeln gießt wie die übrige Bevölkerung.
»Aber ich bitte dich, zu niemandem ein Sterbenswörtchen!« beschwor er sie in ernstem Ton. »Natürlich muß ich in den nächsten Monaten die Nase in den Wind halten, sagte Willie, aber es gibt praktisch kein Hindernis mehr. Ritter des allerhöchsten Ordens des britischen Empire.« Die Worte rollten in seinem
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