Finger weg Herr Doktor!
er darauf brennt, mit dem Forellenfischen zu beginnen, jetzt, da die Saison beginnt.«
»Es geht ums Prinzip.«
»Wenn Sie doch nicht so selbstgefällig wären, Bingham!« sagte der Dean beleidigt. »Manchmal behandeln Sie uns alle wie einen Haufen Eisenbahnräuber.«
»Vielleicht habe ich Ursache zur Selbstgefälligkeit.«
»Das ist noch schlimmer: Jetzt bilden Sie sich noch etwas drauf ein, daß Sie eingebildet sind -«
Bingham legte ihm die Hand auf den Arm. »Regen Sie sich nicht so auf! Das kann dem Druck in Ihren Herzkammern nicht guttun. Entspannen Sie sich ein wenig, während ich Ihnen erzähle, warum ich so eingebildet bin. Sie werden es interessant finden.«
Der Dean sah ihn verblüfft an. »Also gut, machen Sie’s kurz. Ich möchte mein Mittagessen.«
»Ist es nicht merkwürdig, daß unwahrscheinliche Ereignisse manchmal noch unwahrscheinlichere Folgen haben? Die Spore des Penicillinschimmelpilzes, die durch das Fenster von Flemings Laboratorium in St. Mary’s geweht kam -«
»Kommen Sie zur Sache, Mann!«
»Ich meine, die kleine Verirrung Ihres Sohnes könnte uns allen großen Segen bringen.«
»Worauf zum Teufel spielen Sie an?«
Professor Bingham langte nach einem großen, alten, ledergebundenen Buch in der Mitte des Konferenztisches. »Wissen Sie, was das ist? Das Protokollbuch des Disziplinarhauptausschusses.« Zärtlich glitt seine Hand über den glänzenden Einband. »Nur selten sieht es das Licht des Tages. Ich als Sekretär des Ausschusses konnte es nur mit Schwierigkeiten vor der heutigen Versammlung auftreiben. Es war unter Stöße von chirurgischen Berichten aus der viktorianischen Zeit gesteckt worden. Ein unpassender Platz. Vielleicht hatte es jemand verstecken wollen.«
»Was wollen Sie mit alldem sagen, Bingham? Ich bin hungrig.« - »Ich will - in aller Kürze - sagen: ich kann garantieren, daß Sir Lancelot am Freitag in die Flitterwochen fahren und sich für den Rest seines Lebens nie wieder in St. Swithin oder in London überhaupt anschauen lassen wird.«
23
Während der Dean mit Professor Bingham im Konferenzzimmer von St. Swithin saß, lief seine Tochter Muriel von der Bushaltestelle das steile Pflaster von
Highgate Hill hinauf. Auf halber Höhe bog sie in eine Straße mit kleinen Geschäften ein, die bis vor kurzem Fisch und Chips und Zeitungen verkauft hatten, aber nun von Leuten, die mit schickeren Dingen handelten, übernommen worden waren, als diese Gegend plötzlich für originell galt. Muriel hielt im Laufen inne. Sie hob den Rock, bis er kaum noch die Schenkel bedeckte. Wohlgefällig blickte sie an sich herab. Ihre Beine waren wirklich nicht schlecht. Sie hoffte inbrünstig, daß Albert sie zur Kenntnis nehmen würde.
Muriel stieß die Ladentür auf. »Hallo«, rief sie freudig, »da bin ich!« - »Ach, hallo.«
Albert kam aus den dunklen Tiefen seiner Boutique ans Tageslicht wie ein rundes zottiges Tier, das aus seiner Höhle auftaucht. Der Gegenstand von Muriels Leidenschaft war ein ein Meter sechzig langer und sechzig Zentimeter breiter junger Mann. Sein Aussehen war schwer zu bestimmen, da seine unbekleideten Teile weitgehend unter einer dicken Haarmatratze verschwanden. Das Kopfhaar reichte ihm bis zu den Schultern. Sein dichtgekräuselter Backenbart erinnerte an aus Tauen geflochtene Schiffsfender. Der Schnurrbart, der seine Oberlippe bedeckte, änderte an den Mundwinkeln plötzlich die Richtung und lief abwärts, dem Kinn zu. Mächtige Augenbrauen bildeten ein Strohdach über seinen vorquellenden Augen, und ein kleiner Spitzbart behauptete sich innerhalb der übrigen Haarfülle. Er war mit modischer Nachlässigkeit in Jeans und eine Jacke aus Khakidrill gekleidet. »Ach«, wiederholte er.
Muriel schlang die Arme um ihn, und als sie eine genug große freie Stelle fand, drückte sie einen Kuß darauf. »Freust du dich denn nicht, mich zu sehen?«
»Natürlich.«
»Albert, Liebster, es war schrecklich, dich diese Woche kein einziges Mal zu sehen.« - »So, so.«
»Hast du meinen Brief bekommen?« - »Ja.«
Muriel konnte ihr Zittern nicht unterdrücken. Er war um so vieles erfahrener, so vieles weltmännischer als sie, daß sie dauernd fürchtete, er könnte sie unbeholfen finden. Tatsächlich behandelte er die Welt, die er einfach in Kunden, Flittchen und Leute einteilte, mit einer Ungezwungenheit, die ihm so flott vorkam wie seine Kleidung. »Na also«, sagte er.
Willst du mich nicht küssen?«
»Schon, schon.«
Sie war aufgewühlt, als er
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