Fingermanns Rache
Geld.«
»Dann war das mit dem Lebenszeichen schon vor dem Telefonat mit Loki geplant«, stellte Marion fest.
»Warten wir erst mal ab, was drin ist«, entgegnete Illsen.
Marion blickte zu Boden.
»Und was ist mit mir? Kann ich jetzt gehen?«, fragte Max.
»Ja«, antwortete Marion. »Geben Sie mir aber bitte noch den Schlüssel. Wenn ich weitere Fragen habe, finde ich Sie am Hackeschen Markt, oder?«
»Ja. Das ist ein guter Platz. Den gebe ich nicht auf.«
Nachdem Max Dreiklang gegangen war, warteten die beiden auf Mendel. Marion und Illsen rauchten schweigend eine Zigarette. Der ungewohnte Genuss reizte Marions Lunge, lenkte sie aber ab. Nach ein paar Minuten kehrte Mendel zurück. Sein Gesicht war noch bleicher als sonst.
»Es ist so, wie wir es befürchtet haben. Ein abgetrennter kleiner Finger und dazu noch das vermutliche Werkzeug – eine große Heckenschere.«
Marion musste würgen. War es das Bild, das sie vor Augen hatte, oder war es die Zigarette? Vermutlich beides. Tröstend legte Mendel seine Hand auf ihre Schulter.
Illsen öffnete ein Fenster und sagte: »Noch ist nicht klar, ob es sich hier um den Finger von Flaig handelt. Bei diesem Fall muss man mit allem rechnen. Herr Mendel, Sie werden jetzt gleich zur Kriminaltechnik fahren und das überprüfen lassen.«
Mendel zog unbeholfen seine Hand zurück und ging. Mit leeren Augen starrte Marion ihm nach. Krampfhaft versuchte sie, nicht in Tränen auszubrechen. In ihrer Arroganz hatte sie die erste Regel bei einer Entführung missachtet: Der Schutz des Opfers hat immer oberste Priorität. Wie hatte sie das vergessen können?
Betont sachlich sagte Illsen: »Für Emotionen ist jetzt keine Zeit. Sie müssen sich zusammenreißen. Gebrauchen Sie Ihren Verstand. Dreiklang wurde am Freitag von Arndt instruiert, Loki hat aber erst heute die Drohung ausgesprochen. Daher war die Verstümmelung von Flaig, wie Sie selbst festgestellt haben, schon längst geplant. Sie können nichts dafür.«
»Oh doch, das kann ich. Arndt und Loki manipulieren uns. Da sie aber nie exakt wissen, wie wir uns verhalten werden, müssen sie auf alles vorbereitet sein. Sie entwerfen verschiedene Szenarien und treffen Vorkehrungen, um dann entsprechend reagieren zu können. Sie haben mit meiner Reaktion gerechnet, sie vielleicht sogar provoziert, aber die Entscheidung habe ich ganz allein getroffen. Es gibt keine Entschuldigung.«
»Sie verrennen sich da in etwas. Letztendlich zählen nur die Fakten, und die besagen, dass Flaigs Schicksal schon von vornherein besiegelt war – unabhängig von Ihrem Verhalten. Bevor wir aber eine unnötige Diskussion darüber führen, sollten wir den befragen, der es wissen muss. Dabei können wir Wilbur Arndt auch gleich noch verhaften.«
*
Im Gang vor Arndts Kammer saß der junge Polizeimeister Simon Uhl an einem Schreibtisch und erledigte Verwaltungsaufgaben. Er versuchte, die Zeit des Wartens sinnvoll zu nutzen. Zwar war er noch nicht lange bei der Polizei, dennoch fand er den Aufwand, der wegen des Obdachlosen betrieben wurde, recht befremdlich. Eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung im Gebäude des LKA , daraus sollte einer noch schlau werden.
Eilige Schritte ließen ihn aufhorchen. Die Kommissare Illsen und Tesic kamen den Gang entlang. Sie wollten anscheinend zu dem Alten. Uhl stand auf, während Tesic schon an der Tür war.
»Abgeschlossen«, stellte sie überrascht fest, als sie die Klinke herunterdrückte.
»Herr Arndt wollte es so«, bemerkte Uhl und zückte einen Schlüssel. Tesic machte ihm Platz, und Uhl schloss auf, dabei zog er die Tür zu sich heran. »Sie klemmt ein bisschen«, sagte er und ließ die Tür aufschwingen. Marion Tesic trat als Erste ein und blieb wie angewurzelt stehen.
»Das kann nicht wahr sein!«, stöhnte sie.
Illsen und Uhl drängten nach. Beide konnten nicht glauben, was sie sahen: Die Kammer war verlassen. Wo zuvor der Spind gestanden hatte, klaffte ein riesiges Loch.
Ein Erwachsener konnte bequem durch den Durchbruch steigen. Während Illsen und Uhl darin verschwanden, spähte Marion nur hindurch. Sie wusste, dass Arndt längst entkommen war. Oberhalb des Lochs verlief ein Belüftungsschacht. Das Gitter war entfernt worden und lag auf dem zur Seite gerückten Spind. Marion setzte ihren Fuß auf den unteren Rand des Lochs – ein Backstein gab nach, andere folgten. Die Mauer war keine. Marion schob einen Tisch vor das Loch; jetzt konnte sie in den Schacht hineingreifen. Ihre Finger ertasteten einen Riegel
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