Fingermanns Rache
der morgen angesetzten Pressekonferenz abstimmen. Die Journalistenmeute hat Witterung aufgenommen. Wilde Spekulationen sind im Umlauf. Die Leute vom BERLINER TAGESGESCHEHEN wollen ihren Wissensvorsprung nutzen. Und natürlich müssen wir die neue Situation besprechen.«
»Wenn es Ihnen in einer halben Stunde recht wäre? Habe im Moment viel um die Ohren, Herr Sandt.«
»Das haben wir alle. Aber in dreißig Minuten ist okay. Ich werde die Staatsanwältin benachrichtigen.«
Illsen nickte und setzte seinen Weg fort. Das Leben war schon seltsam, hier ging fast die Welt unter, und Patricia sorgte sich um den Kindersitz.
Er klopfte, und bevor Marion Tesic »Herein« sagen konnte, stand Illsen schon vor ihrem Schreibtisch.
»Was gibt es so Dringendes, dass ich durchs ganze Haus hetzen muss?«
»Ich kann die Dossiers nicht durchsehen. Niemand sollte das tun.«
»Warum?«
»Schauen Sie Ihr eigenes an, und Sie werden es verstehen.«
Neugierig nahm Illsen die Mappe und blätterte darin. Erst überflog er die Zeilen, dann las er konzentriert. Tiefe Furchen zeigten sich auf seiner Stirn. Einige Stellen las er zweimal. »Haben Sie mein Dossier schon gelesen?«
»Nein. Außer meinem eigenen kein anderes.«
»Gut«, sagte er erleichtert. »Und Sie glauben, die anderen Dossiers fallen ähnlich aus?«
»Mit großer Wahrscheinlichkeit. Am besten, jeder Betroffene beurteilt das selbst.«
Illsen stimmte zu. Wenn alle Dossiers wie seines waren, besaßen sie enorme Sprengkraft. Nicht auszudenken, wenn Privates öffentlich wurde, ganz abgesehen von anderen Verfehlungen.
Während Marion Tesic die Dossiers ordnete, beobachtete Illsen sie verstohlen. In seiner zentralen Beurteilung hieß es:
Peter Illsens Schwäche für Frauen wird ihm zum Verhängnis werden .
Wie recht der Autor hatte. Die Tesic war eine Versuchung, der er kaum widerstehen konnte. Wie es wohl wäre, wenn er jetzt seine Hand in ihren Ausschnitt schieben würde?
Es klopfte an der Tür, und Patricia trat ein. Eine zierliche Frau mit langen braunen Haaren und einem mädchenhaften Gesicht, das auch noch in dreißig Jahren jugendlich wirken würde. Sie begrüßte Marion zurückhaltend, ihr Blick sprach Bände.
»Wir arbeiten in diesem Fall zusammen«, sagte Illsen verkrampft, während er die beiden bekannt machte. Marion stand auf. Sie war einen halben Kopf größer. Illsen hasste sich dafür, dass er Vergleiche zwischen den beiden anstellte. Etwas überstürzt drängte er Patricia aus dem Büro und begleitete sie zum Parkplatz. Dort sagte sie: »Sie ist hübsch.«
»Das bist du auch.«
»Ich glaube nicht, dass du bei ihr standhaft bleiben kannst. Sie entspricht geradezu deinem Ideal.«
»Patricia, bitte. Diese Diskussion hatten wir schon so oft. Ich liebe dich. Ich werde unsere Ehe nicht aufs Spiel setzen.«
Seine Frau schmiegte sich an ihn. »Ich liebe dich auch. Aber wir beide wissen, wie es kommen wird.«
Illsen strich über Patricias Haar. »Du musst mir einfach vertrauen. Es wird nichts geschehen, das schwöre ich dir.«
Den flüchtigen Kuss seiner Frau spürte er noch auf den Lippen, als sie losfuhr. Beinahe mitleidig hatte sie gelächelt, während er ihr seine Treue versichert hatte. Das Bild Patricias vor Augen fasste er einen Entschluss. Solange die Tesic nicht in seiner Nähe war, konnte auch nichts geschehen. Tromptow war eine Möglichkeit. Er würde sie dorthin beordern, auch wenn er das zum jetzigen Zeitpunkt für nicht besonders sinnvoll hielt.
*
Im Büro von Kriminaldirektor Jochen Sandt herrschte eine angespannte Stille. Sowohl er als auch die Staatsanwältin Dr. Hilde Rensch studierten ihre Dossiers, beobachtet von Marion und Illsen. Wirkte der Kriminaldirektor noch recht entspannt, so zeigten sich auf dem Dekolleté der Staatsanwältin rote Flecken. Marion bereute es inzwischen, nicht doch einen Blick in deren Akte geworfen zu haben.
»Und niemand hatte Einblick?«, fragte die Staatsanwältin lauernd.
»Niemand aus dieser Runde«, antwortete Marion.
»Wie soll ich das verstehen?«
»Nun, klar ist, dass Wilbur Arndt den Inhalt kennt und mit Sicherheit Kopien hat. Klar ist weiterhin, dass noch andere zumindest in Auszügen davon wissen. Denn Arndt kann all diese Informationen unmöglich allein zusammengetragen haben.«
Die Staatsanwältin umklammerte die Tischplatte. Ihre kleinen, kräftigen Hände wirkten wie Schraubstöcke.
»Dieser Mann ist eine Gefahr für den Staat.« Mit »Staat« meinte sie offensichtlich sich selbst. »Wir
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