Fingermanns Rache
Entscheidung, Sie damit zu betrauen.«
Obwohl sie selbst es vorgeschlagen hatte, fiel es Marion schwer, die Anordnung zu akzeptieren. Zum einen hatte sie Schwierigkeiten, sich Illsen unterzuordnen, zum anderen fühlte sie sich abgeschoben, in die hintere Reihe versetzt. »Wenn Sie meinen«, sagte sie deshalb widerwillig. »Und wann soll ich aufbrechen?«
»Am besten gleich morgen früh. Daher sollten Sie jetzt nach Hause fahren und sich noch ein bisschen ausruhen. Packen müssen Sie ja auch noch. Dass Sie sich auf einen mehrtägigen Aufenthalt einrichten müssen, wissen Sie ja. Um das Kompetenzgerangel mit den Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern werde ich mich kümmern.«
Illsen gab Marion die Hand und verabschiedete sich eilig.
Perplex starrte sie ihm nach. Das alles ging ihr etwas zu schnell. Es hatte ganz den Anschein, als ob er sie loshaben wollte. Aber warum nur? An den paar Stunden, die sie bisher zusammengearbeitet hatten, konnte es nicht liegen. Für ernsthafte Differenzen war die Zeit viel zu kurz gewesen, und als seine Konkurrentin war sie spätestens seit der letzten Besprechung aus dem Spiel. Oder hatte er in dieser Hinsicht noch Bedenken? Vielleicht hatte Illsen ja bemerkt, dass sie ihn nur schwer als ihren Vorgesetzten akzeptieren konnte. Bei Schorten war das anders gewesen, schon allein wegen des Altersunterschieds. Schorten war eine Respektsperson und Illsen eben nur ein Konkurrent, den man ihr vor die Nase gesetzt hatte.
Wie Schorten wohl die jetzige Entwicklung sehen würde? Spontan griff Marion zu ihrem Handy.
*
Schorten sah Marions Namen auf dem Telefondisplay aufblinken. Nicht jetzt, dachte er und wartete, bis das Klingeln aufhörte. Unschlüssig stand er in der Küche vor der Spülmaschine, das Telefon in der Hand. Noch immer trug er seinen Morgenmantel, auf dem sich ein hässlicher Kaffeefleck abzeichnete. Ich hätte es besser mit einem Waschmittel versuchen sollen, tadelte er sich – Wasser und Seife hatten nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Schorten trat gegen die Spülmaschine. Das Scheißding funktionierte nicht. Seit Cordula ihn verlassen hatte, funktionierte überhaupt nichts mehr.
Sein Blick schweifte durch die Küche. Schmutziges Geschirr stapelte sich in der Spüle, der Mülleimer quoll über. Nicht einmal die einfachsten Sachen gelangen ihm. Den Reparaturdienst hätte er schon vor Tagen anrufen sollen, jetzt ging ihm das Geschirr aus. Widerwillig wählte er die Servicenummer – eine mechanische Stimme sagte ihm, dass er außerhalb der Geschäftszeiten anrief. Was war heute für ein Tag? Schorten ging ins Wohnzimmer. Der Fernseher lief, auf dem Beistelltisch beim Sofa standen eine leere Weinflasche und mehrere gebrauchte Gläser, die Rollläden waren heruntergelassen. Im Videotext erfuhr er, dass Sonntag war.
Seufzend ließ er sich auf dem Sofa nieder. Wo war die Zeit geblieben, wie konnte er sich nur so gehen lassen? Die Suche nach seiner Frau war bisher erfolglos verlaufen, und dafür gab es einen einfachen Grund: Er hatte damit nie richtig begonnen. Nachdem der Polizeipsychologe ihn dienstunfähig geschrieben hatte, war er nach Hause gefahren und hatte die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt. Alle persönlichen Sachen seiner Frau hatte er durchwühlt: Kontoauszüge, Zeugnisse, Briefe. Er hatte ihre gesamte Wäsche aus den Schränken gerissen und ihre Matratze aufgeschlitzt. Er hatte ihre Pflanzen und ihre geliebten Porzellanpuppen zerstört. Er wollte nichts finden, er wollte nur seiner Wut freien Lauf lassen. Es war seine Rache an seiner Frau, die ihn einfach im Stich gelassen hatte.
Nun hauste er im Chaos – ein Abbild seines Seelenzustandes –, und er war nicht fähig aufzuräumen. Außer Selbstmitleid und den ständig gleichen Vorhaltungen, die er Cordula im Geiste machte, brachte er nichts zustande. War er tatsächlich so von ihr abhängig? Gehörte er zu den Männern, die allein nicht lebensfähig waren, die auf einer Müllhalde lebten, weil sie zu Hause mit den kleinsten Aufgaben überfordert waren? Das konnte doch nicht sein. Er liebte die Ordnung. Er liebte sauber gefaltete Hosen und gebügelte Hemden. Er liebte das frisch riechende Bad und die glänzenden Armaturen. Sein Leben hatte eine klare Linie, man begegnete ihm mit Respekt. Er war Hauptkommissar und Chef einer Abteilung. Er konnte seine Mitarbeiter führen und selbst in den verzwicktesten Situationen einen kühlen Kopf bewahren. Wenn sich die Meldungen überschlugen, war er der ruhende Pol – wo
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