Fingermanns Rache
andere im Chaos versagten, sorgte er für Ordnung. Schorten hielt inne. Gerade daran musste er festhalten. An der Ordnung. Sie war sein Lebensinhalt, sein Wegweiser. Sie war die Grundlage der Würde und fester Bestandteil der Disziplin. Ohne Ordnung konnte er nicht leben. Es war an der Zeit, sie wiederherzustellen.
Schorten nahm das Branchenbuch zur Hand. Zuerst musste er sich eine Haushälterin besorgen. Eine kompetente, reinliche Frau, die gründlich ihre Arbeit machte. Am besten im mittleren Alter, gerne auch aus dem Osten. Sprachbarrieren stellten kein Problem dar, sie waren Hindernisse auf Zeit. Mit gutem Willen konnte man sie überwinden. Wichtig waren eine solide Ausbildung und ansprechendes Aussehen. Man will sich ja nicht für seine Haushälterin schämen. Während Schorten im Geiste das Anforderungsprofil erstellte, fiel ihm ein, dass er heute niemanden erreichen würde. Dann eben morgen, dachte er. So hatte er zumindest noch Zeit, die Wohnung in einen annehmbaren Zustand zu bringen – seine zukünftige Haushälterin sollte einen guten Eindruck von ihm haben.
Der Boden in Cordulas Schlafzimmer war mit Resten der aufgeschlitzten Matratze und den Bruchstücken der Porzellanpuppen übersät. Schorten wollte alles aufsaugen. Schon nach kurzer Zeit versagte der Staubsauger. Wie wechselte man den verdammten Beutel? Schorten wusste es nicht. Jetzt nur nicht die Geduld verlieren, mahnte er sich, dann fegst du es eben auf. In der Abstellkammer fand er keinen Feger, in der Garage nur einen Besen. Gab es in diesem Haushalt denn keinen Feger? Ein Nachbar begegnete ihm vor der Haustür und musterte ihn verwundert. Peinlich berührt zog Schorten seinen Morgenmantel zusammen und verschwand, ohne zu grüßen, in seiner Wohnung. Nahm dieser Alptraum denn kein Ende?
Mit bloßen Händen klaubte Schorten nun die Füllung der Matratze auf. Im hochflorigen Läufer vor Cordulas Bett hatte sie sich in den Teppichfasern verfangen. Der Läufer war nicht mehr zu retten. Schorten rollte ihn zusammen und schnitt sich an einer Porzellanscherbe. Blut tropfte auf den Boden. Schorten ging ins Bad und verband sich die Hand. Am Arzneischrank hinterließ er blutige Fingerabdrücke. Zurück im Zimmer seiner Frau nahm er Matratze und Läufer und brachte beides in den Keller. Beim Transport verlor die Matratze weitere Teile ihres Inhalts – eine ganze Spur zog sich durch die Wohnung. Wutentbrannt beseitigte Schorten die Reste und ließ sich dann auf das Sofa im Wohnzimmer fallen. Über eine halbe Stunde war schon vergangen, doch erreicht hatte er noch gar nichts.
Mach dich nicht selbst fertig, wies er sich zurecht. Heute war einfach nicht der richtige Zeitpunkt, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen. In seinem Zustand sollte er das tun, was er am besten konnte. Er war ein guter Polizist, ein guter Ermittler, er konnte analytisch denken.
Was war also der Auslöser der ganzen Misere? Zweifellos Cordulas Verschwinden. Sollte er da nicht das Problem an der Wurzel packen, so wie er es von Anfang an vorgehabt hatte? Sollte er nicht seine ganze Kraft darauf verwenden, seine Frau zu finden? Wenn er sie zurückgewinnen konnte, würde sich alles andere ergeben.
Zwar hatte sie ihn schwer gekränkt, doch noch war nichts verloren; jede Ehe hatte ihre Krisen. Er war durchaus bereit, seiner Frau zu verzeihen. Jeder machte Fehler, und Nachsicht war eine herausragende Eigenschaft des Menschen, sie machte ein harmonisches Zusammenleben erst möglich. Die Zielsetzung war klar, jetzt musste er nur noch konsequent vorgehen.
Schorten stand vor seinem Schrank und überschlug, wie lange seine Kleidung noch reichen würde. Hosen und Socken waren kein Problem, nur Hemden und Unterwäsche würden ihm bald ausgehen. In spätestens vier Tagen musste er zur Wäscherei. Nahmen die auch Schmutzwäsche? Die Vorstellung, einem Fremden seine gebrauchte Unterwäsche anzuvertrauen, war grauenhaft. Nein, sie war nicht grauenhaft, sie war unmöglich. Genauso unmöglich war es, dass er sich selbst darum kümmerte. Mit diesem Schmutz und Unrat konnte er sich nicht beschäftigen, er brauchte jemanden, der ihm diese Last abnahm. Also doch eine Haushälterin! Innerhalb von vier Tagen brauchte er eine Haushälterin, und zuvor musste er die Wohnung auf Vordermann bringen. Aber wie sollte er das bewerkstelligen, war er doch gerade eben an diesem Vorhaben so kläglich gescheitert?
Das Haushaltproblem bedurfte einer anderen Lösung. Vielleicht sollte er seine Tochter anrufen. Doch
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