Fingermanns Rache
mit Ihren Verschwörungstheorien. Ich habe nicht viel Zeit. Daher wäre es nett, wenn Sie mir jetzt die Adressenliste heraussuchen würden.«
»Sie stehen unter Zeitdruck, ganz klar. Ich werde mein Möglichstes tun. Nicht, dass ich am Ende verantwortlich gemacht werde, wenn die Sache nicht gut ausgeht.«
Zügig eilte er zum Archiv. Im Türrahmen blieb er kurz stehen und sagte verschwörerisch: »Den Schlüssel brauche ich ja nicht. Das Schloss haben Sie sicher mit einer Karte geknackt. Stimmt’s?«
Marion verdrehte die Augen und trat an Mertens vorbei. Der folgte ihr umgehend und wies den Weg.
Während Marion, an einem kleinen Schreibtisch sitzend, die betreffenden Adressen notierte, ging Mertens auf und ab. »Wissen Sie, Frau Oberkommissarin, das ist ein ganz großer Moment für mich«, sagte er aufgeregt. »Auch wenn Sie mich verständlicherweise nicht einweihen, habe ich eine Menge neuer Informationen gesammelt. Genug, um den ganz großen Durchbruch zu landen.«
Marion schaute auf. »Was meinen Sie mit Durchbruch?«
»Na, den Preis, der auf die beste Fortsetzung der Entführungsgeschichte ausgesetzt ist. Das Internetportal www.brings-zu-ende.de, Sie wissen schon.«
Marion nickte entgeistert und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
»Sie sind sicher auf meine Version gespannt«, sagte Mertens und fasste, ohne auf eine Reaktion der Kommissarin zu warten, seinen Teil der Geschichte zusammen: »Das Finale wird in den Katakomben des Flughafens Tempelhof stattfinden. Ein unterirdisches Labyrinth, verteilt auf drei Ebenen. Endlose Gänge, riesige Hallen, versteckte Bunker. Ideal für den krönenden Abschluss, ideal für eine spektakuläre Flucht. Alle Berliner Polizeikräfte sind eingebunden, alle Beamten im Einsatz, und Wilbur Arndt, das Verbrechergenie, kann seinen größten Coup landen: den gleichzeitigen Überfall auf die Geldtransporte vom KaDeWe, der Deutschen Bank und der Commerzbank. Bis die Polizei reagieren kann, sind Arndt und seine Spießgesellen schon längst über alle Berge.«
Marion sah auf. »Nicht sehr originell, Herr Mertens. So etwas Ähnliches gab es schon: ›Stirb langsam 3‹, glaube ich, mit Bruce Willis.«
»Sie haben recht, verdammt.« Mertens kratzte sich am Kopf. »Damit gewinne ich keinen Blumentopf. Aber Tempelhof ist trotzdem gut, darauf lässt sich aufbauen, oder?«
»Wenn Sie meinen.« Marion gab dem Krankenpfleger die Adressenliste zurück. Neugierig warf er einen Blick auf ihre Notizen. »Sie haben auch die Verstorbenen notiert«, stellte er fest.
»Reine Routine«, entgegnete Marion.
»Oh, nein. Ich verstehe schon. Sie trauen der guten Frau Eisen nicht so recht. Das ist raffiniert. Von Ihnen könnte ich noch viel lernen.«
»Vermutlich«, sagte Marion kurz angebunden und fuhr dann in einem verbindlicheren Ton fort: »Ich brauche für heute Nacht ein Zimmer. Kennen Sie ein Hotel oder eine geeignete Pension in Tromptow?«
»Natürlich. Die Saison hat noch nicht begonnen. Im Moment haben Sie freie Auswahl. Ich würde Ihnen das Haus Arnika empfehlen. Schöne Zimmer mit Bad, reichhaltiges Frühstück, nette Leute.«
»Gut. Wenn Sie mir eine Telefonnummer geben könnten?«
Mertens zückte eine Visitenkarte. »Hier, nehmen Sie«, sagte er. »Die Pension wird übrigens von meiner Schwägerin betrieben.«
»Das hätte ich mir ja denken können«, entgegnete Marion lächelnd.
Ralf Mertens begleitete Marion noch bis zum Auto. Er hatte einen Schirm dabei. Bevor er die Tür schloss, sagte er: »Vergessen Sie den Flughafen Tempelhof nicht. Es ist bestimmt Tempelhof.«
*
Die Pension war wirklich nett. Marion hatte ein gemütliches Zimmer im Dachgeschoss. Ein antiker Sekretär diente ihr als Arbeitsplatz. Der Regen hatte noch zugenommen, die Verkehrsnachrichten im Radio waren endlos. Es war die richtige Entscheidung gewesen, die Nacht in Tromptow zu verbringen, Berlin war wohl nur noch auf dem Wasserweg zu erreichen.
Marions erster Anruf galt Kai Mendel. Dieser entschuldigte sich, nicht zurückgerufen zu haben. Aber seit der Pressekonferenz sei die Hölle los. Der Druck, die Entführer zu finden, sei enorm hoch. Die Soko Flaig/Bakker liefere sich einen regelrechten Wettlauf mit allen erdenklichen Hobbyermittlern. Darüber hinaus würden sie mit Hinweisen aus der Bevölkerung bombardiert, die, so unsinnig sie auch waren, bearbeitet werden mussten. Daher habe er jetzt auch keine Zeit für sie. Kurzerhand verband er Marion mit einer jungen Kollegin.
Derart abgewürgt, brauchte
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