Fingermanns Rache
Spaß.«
Obwohl Marion längst satt war, fügte sie sich. »Josh wird heute wohl nicht mehr zurückkehren?«, fragte sie und biss in das Brötchen.
»Nein. Er hat viel Proviant mitgenommen. Das reicht für ’ne ganze Woche. Muss wohl wieder viel zu verarbeiten haben, der arme Kerl. Die Geschichte mit dem Heim und dann noch der frühe Tod von Erika. Josh hat es nie leicht gehabt. Irgendwann wird er gar nicht mehr zurückkommen.«
»Und seine Mädchen?«
»Na, die sind sein großes Glück. Wenn die nicht jedes Jahr kämen, wer weiß, ob er es dann überhaupt so lange ausgehalten hätte. Sie mag er übrigens auch. Er hat eine Nachricht für Sie hinterlassen. Das hat er noch nie getan.«
Lotte reichte Marion eine alte Postkarte. Das Meer war darauf zu sehen.
Auf der Rückseite stand:
2 x 3 macht 4
Widdewiddewitt, und drei macht neune!
Ich mach mir die Welt,
widdewiddewie sie mir gefällt.
Sie gehören hierher.
Josh.
Gerührt steckte Marion die Karte ein. Lotte lächelte und versorgte die anderen Gäste.
Der Kutscher bestand darauf, dass Marion sich neben ihn setzte.
»So eine schöne Frau ist gut für das Geschäft«, sagte er und gab die Zügel frei. »Sie verlassen uns schon wieder?«
»Ja, leider. Geht nicht anders«, antwortete Marion.
Bertha legte heute nur ein gemächliches Tempo vor, was Marion durchaus recht war – so konnte sie die Zeit auf der Insel noch länger genießen. Ihr Handy hatte sie gestern Nacht ausgeschaltet. Auf der Schaukel war ihr plötzlich alles so unwichtig erschienen. Sie wollte sich erst wieder um ihren Fall kümmern, wenn sie Hiddensee verlassen hatte.
Am frühen Mittag legte die Fähre in Schaprode an. Marion ging zu ihrem Auto, unter dem Scheibenwischer klemmte ein Strafzettel – der Alltag hatte sie wieder.
Noch auf der Landstraße in Richtung Trent rief sie Peter Illsen an.
»Hallo, Herr Illsen, Tesic hier. Können Sie mir sagen, an welcher Hand der Leiche von Wilbur Arndt ein Finger fehlt?«
»Oh, guten Morgen, Frau Tesic. Wollen Sie mir nicht erst mal einen kurzen Bericht erstatten? Irgendwo habe ich mal gelernt, dass man das so macht.«
Nerv mich nicht, dachte Marion, und sagte: »Gleich, Herr Illsen. Sie wissen es also nicht?«
»Nein, nicht aus dem Stegreif. Dazu müsste ich in der Gerichtsmedizin nachfragen. Sagen Sie mir jetzt, warum das so wichtig ist?«
»Nun, ich habe berechtigte Zweifel, dass es sich bei der Leiche um Wilbur Arndt handelt.«
»Wir haben eine positive DNA -Analyse. Schon vergessen?«
»Ich weiß. Aber Arndts Zwillingsbruder ist 1966 gar nicht gestorben. Daher gehe ich davon aus, dass beide hinter der Entführung und dem Mord an Bakker stehen und einer sich im Kraftwerk geopfert hat.«
»Geopfert für was?«
»Daran arbeite ich noch.«
»Aha. Sie machen mir wirklich viel Freude, Frau Tesic. Haben Sie sonst noch irgendwelche außergewöhnlichen Wünsche?«
»Nein. Das wär’s vorerst.«
Verärgert wählte Illsen die Nummer der Gerichtsmedizin. Die Tesic behandelte ihn wie einen Laufburschen. Je länger er mit ihr zu tun hatte, desto weniger mochte er sie. Optik ist also doch nicht alles, dachte er und ließ sich Dr. Mattek geben.
Als »Illsen« auf Marions Display aufleuchtete, wurden ihre Hände feucht, so gespannt war sie auf seine Antwort.
»Ein Finger an der linken Hand«, sagte er ohne Umschweife.
Marion trommelte gegen das Lenkrad. Sie hatte es gewusst, sie hatte es verdammt noch mal von Anfang an gewusst.
»Frau Tesic, ist bei Ihnen alles in Ordnung?«, fragte Illsen.
»Mehr als das. Der Tote ist nicht Wilbur Arndt. Schauen Sie sich die Bilder an, die wir von ihm gemacht haben. Achten Sie auf seine Hände. Dann werden Sie schon sehen.«
Illsen atmete hörbar aus. »Die Zwillinge sind eineiig, stimmt’s?«
»Genau.«
»Deshalb ist die DNA -Analyse wertlos. Arndt hat uns wieder einmal hereingelegt.« Marion hörte Illsen leise fluchen. »Und jetzt taucht er irgendwann wieder auf. Der Mann, der vor laufender Kamera erschossen worden ist und den wir identifiziert haben. Was für ein Alptraum. Damit kann er sich unsterblich machen. Dem müssen wir Vorschub leisten – eine Presseerklärung. Ich muss mich mit dem Chef und der Staatsanwältin abstimmen.«
Marion wollte noch etwas erwidern, da hatte Illsen schon aufgelegt.
In Stralsund suchte Marion einen Parkplatz auf und blätterte ihre Unterlagen durch. Das Jagdfieber hatte sie wieder gepackt. Sie war Arndt dicht auf der Spur, das wusste sie. Endlich war sie Herrin
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