Finish - Roman
egal wie er ausgehen würde. Es würde der letzte große Wettkampf werden, das Rennen, das seinen Namen für immer in die Annalen des Laufsports eingehen lassen würde. In seinen Träumen hatte er sich schon die Main Street hinauflaufen sehen, Tulloch war nirgends in Sicht, und all seine Läuferjahre bündelten sich in diesem überwältigenden Moment des Triumphs. Doch vielleicht hatte Doc Halliwell recht. Vielleicht würde der Wettlauf von Big Wet sein Herz so weit überdehnen, dass es nicht wieder zusammenschnurrte.
Moriarty kehrte zu seiner Unterkunft zurück und setzte einen Brief auf. Der Brief war nicht lang, doch er brauchte eine Weile, bis er ihn geschrieben hatte. Er war formeller gehalten als Moriartys sonstige Briefe, und vier Entwürfe wurden verärgert in den Papierkorb geschleudert, ehe die endgültige Version an Edwin Booth, Niblo’s Theatre, New York, ging.
San Rafael,
New Mexico
28. Juni 1878
Lieber Edwin,
es scheint fast, als wäre dein »Trainingspensum« von zwei Flaschen Wein am Tag nicht minder zuträglich als mein tägliches Programm aus Laufen und Jahn-Gymnastik. Ironischerweise hat sich nämlich bei einer ärztlichen Untersuchung, der ich mich kürzlich unterzog, herausgestellt, dass ich womöglich an einem sogenannten »Sportlerherz« leide, welches dem Wettlauf im Schnee gegen Latour vor vielen, vielen Jahren geschuldet sein könnte. Wenn ich mich recht erinnere, war es dein Zuruf »Der Augenblick!« im kritischen Moment des Duells, der zwischen Sieg und Niederlage entschied. Der Wettlauf von Yuta City ist mein Augenblick,Edwin, und er ist mir wichtiger als sämtliche Wettkämpfe der letzten 20 Jahre zusammen, so wichtig wie der Richelieu 1862 in England für dich, als alles verloren schien.
Letztlich kommt es nur darauf an, was am Ende dabei herausspringt, doch ich gestehe, dass dieses Ereignis für jeden von uns weit über Dollars und Cents hinausgeht, denn Headley, Tulloch und der Indianer sind die besten Läufer unserer Zeit, und wir alle sind in einem Wettkampf vereint, der uns alle an unsere Grenzen bringen wird.
Im Bewusstsein, dass das Erreichen meiner Grenzen für mich zugleich den Tod bedeuten könnte, möchte ich Dich um einen Gefallen bitten. Könntest Du für mich eine Lebensversicherung über maximal 50 000 Dollar abschließen, die Eleanor im Falle meines Ablebens ein sicheres Auskommen garantieren würden? Außerdem bitte ich Dich, niemandem gegenüber ein Wort über diese Angelegenheit zu verlieren.
Ich freue mich, Dich am Tag des Wettlaufs in Yuta City zu sehen.
Dein
Moriarty
Die Kunde vom Wettlauf um den Big Wet war inzwischen weit über die Grenzen Arizonas hinausgedrungen und hatte bereits Mitte Juni den Weg in die Zeitungen von New York und Los Angeles gefunden. Nur 14 Tage später gab es in den beiden Städten die ersten Quoten, und nur wenige Tage darauf zog das führende englische Sportblatt Bell’s Life in London nach. Ende Juli war die Crème de la Crème der europäischen Sportlergilde, eine illustre Mischung aus englischem Adel, starrsinnigen Schotten, skandinavischen Buchmachern und französischen und italienischen Glücksspielern, in Liverpool in See gestochen.
Erst Anfang August hatten die ersten Spione die Brennan-Gruppein San Rafael ausfindig gemacht, denn die Trainingsbasis von Moriarty und seinen Männern hätte überall in Arizona und New Mexico sein können. Und so waren sie die meiste Zeit ihrer Vorbereitungen von neugierigen Blicken verschont geblieben. Eine Woche zuvor hatte Brennan die Boyle-Gruppe 300 Meilen weiter westlich in Bitter Springs ausgemacht. Die erste Neuigkeit aus Bitter Springs lautete, dass Headley, der in seiner Jugend als Pferdeknecht beim Marquis of Leeds gedient hatte, ein exzellenter Reiter war, so dass sich er und Buck in reiterischer Hinsicht nicht viel nehmen würden.
Aus San Rafael konnten die Beobachter ihren Auftraggebern nur wenig berichten, denn Moriarty und seine Leute änderten ihre Trainingszeiten ständig. Und in der weiten Prärie, die sich zwischen der Ansammlung von Geschäften und Bars, aus denen San Rafael bestand, und der dürren Hügelkette der Puentes erstreckte, in denen Moriartys Gruppe täglich trainierte, waren Spione leicht zu entdecken.
Zunächst schwankten die Quoten, und das große Geld wurde auf das Boyle-Team gesetzt. Immerhin gehörten die drei zu den schnellsten Männern der Welt und waren in ihren Distanzen ungeschlagen. Doch als im Mai die Einzelheiten der Vereinbarung publik
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