Finn und der Kristall der Zeit (German Edition)
– oder waren es drei? Der Fall ging damals durch die Presse. Es meldeten sich hunderte von Menschen, die die Kleine adoptieren wollten. Natürlich gibt es da auch noch die Babyklappen.“
Als die Kinder sie verständnislos ansahen, seufzte sie. „Eine neuzeitliche Erfindung“, erklärte sie. „Wenn eine Mutter ihr Kind wirklich nicht behalten kann oder will, und wenn sie unbedingt anonym bleiben will, dann kann sie ihr Kind in einer dieser Babyklappen ablegen. Innerhalb weniger Minuten wird dann ein Alarm ausgelöst, so dass das Kind gefunden wird. Die Frau soll, so ist es jedenfalls gedacht, in diesem Fall straffrei bleiben.
Denn natürlich ist das Aussetzen von Kindern eigentlich verboten“, setzte sie hinzu.
„Aber früher einmal sind Kinder doch auf Kirchenstufen ausgesetzt worden“, versuchte es Finn noch einmal.
„Hier in der Sophienkirche soweit ich weiß nie“, erwiderte die Frau. „Wenn, dann muss das wohl auch schon hundert Jahre her sein.“
„Die Sophienkirche gibt es doch erst seit fünfundachtzig Jahren“, wandte Jacob ein. Die Frau zog anerkennend die Augenbrauen hoch.
„Stimmt“, bestätigte sie. „Du kennst dich aber gut aus.“
„Und wie war das bei den anderen Kirchen?“, fragte Finn. „Bei St. Servatius vielleicht?“ Verstohlen stieß Tom ihn an.
„Mutter hat das doch nie gemeldet“, wisperte er.
„Oder vielleicht St. Pankraz oder St. Bonifaz?“, verbesserte sich Finn schnell. „Die gehören doch auch zu dieser Kirche, habe ich gehört?“ Nun sah die Dame richtig verblüfft aus.
„St. Bonifaz in Burgfeld gehört zu dieser Gemeinde, das ist richtig“, erklärte sie. „Genauso wie St. Servatius. Aber woher kennst Du St. Pankraz? Das ist doch schon seit vielen Jahrzehnten keine Kirche mehr. Inzwischen befindet sich dort eine Kunstgalerie.“ Finn wurde rot.
„Meine… unsere Großeltern haben dort geheiratet“, sagte er schnell.
„Und sie haben uns erzählt, dass vor vielen Jahren, noch bevor sie geboren wurden, auf den Stufen der Kirche ein Kind ausgesetzt wurde“, fabulierte Jacob.
„Hmmm… das müsste rauszukriegen sein“, sagte die Frau ehrlich interessiert. „Seit St. Pankraz keine Kirche mehr ist, werden die alten Kirchenbücher hier im Keller aufbewahrt. Wisst ihr ungefähr, wann das gewesen sein soll?“
„Im November 1915“, antwortete Jacob. Wieder warf ihm die Frau einen erstaunten Blick zu. „Haben Oma und Opa so von ihren Eltern gehört“, setzte er lahm hinzu und warf seinen Brüdern verstohlene Blicke zu. Sie mussten wirklich etwas vorsichtiger sein mit dem, was sie erzählten.
„1915“, murmelte die Dame jetzt. „Hmmm… Kinder, kommt einfach mal schnell in den Keller. Das interessiert mich jetzt!“
Sie stand auf, nahm einen Schlüssel von einem Haken und ging an den Kindern vorbei durch eine kleine Tür, die in einen Flur führte. Von dort zweigte eine Treppe in den Keller ab, die sie zügig hinunter lief. Die Jungen folgten ihr eilig.
Unten schloss sie eine große Metalltür auf.
„Bitte sehr“, sagte sie freundlich und hielt den Kindern die Tür auf. „Dann wollen wir doch mal sehen, ob wir etwas finden.“
Der kleine Kellerraum war von oben bis unten mit den merkwürdigsten Dingen voll gestellt. In einer Ecke standen mehrere Stapel hölzerne Stühle, eine kaputte Orgel befand sich mitten im Raum, an einer Garderobe an der Wand hingen uralte Kleidungsstücke, die fast so aussahen, als hätte sie seit dem Bau der Kirche niemand mehr berührt, und überall gab es Pappkartons, welche zum Teil offen waren. Finn trat neugierig näher an einen der Pappkartons heran. Ein hölzerner Clown sah ihm grinsend entgegen. Erschrocken trat er einen Schritt zurück.
Die Dame schien sich gut auszukennen. Sie ging zielsicher auf eines der Regale zu, für mit den Fingern über die dort gestapelten Bücher und zog dann eines mit einem uralten, brüchig gewordenen Ledereinband hervor.
„St. Pankraz“, sagte sie zufrieden. „Wenn 1915 irgendetwas Spannendes in dieser Kirche passiert ist, dann steht es hier drin!“
Sie legte das dicke Buch auf einen der herumstehenden Tische und schlug es vorsichtig auf. Ein merkwürdiger Geruch entströmte den alten, braun gewordenen Seiten. Die Dame blätterte in dem Buch herum, bis sie auf das Jahr 1915 stieß. Neugierig traten die Kinder näher und blickten ihr über die Schulter. Eine Weile sagte keiner etwas. Dann seufzte Jacob.
„Nur Hochzeiten, Taufen und Todesfälle“, sagte er
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